Chiemgau: Unterschied zwischen den Versionen

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[[Image:Chiemgau Mittelalter.jpg|thumbnail|Größtmöglicher Umfang des Chiemgaus Ende des 8. Jh. bis 10. Jh. nach den Salzburger Güterverzeichnissen und weiteren Quellen]]
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[[Image:Niederbayern, 14. Jh.jpg|thumbnail|Niederbayern im frühen 14. Jahrhundert]]
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[[Image:Apian 1568, Chiemgau.JPG|thumbnail|Gerichte im Gebiet des Chiemgaus 1568]]
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Der Name Chiemgau ist erstmals in der [[Salzburger Güterverzeichnisse|Notitia Arnonis]] (788-790) als ''pago Chimingaoe'' erwähnt. Die Gebietsbezeichnung geht auf das Dorf Chieming zurück, dessen Name wohl von dem Personennamen ''Chiemo'' abgeleitet ist und das auch dem Chiemsee seinen Namen gab. Die in Quellen bezeugten Orts- und Landschaftsbezeichnungen sind nicht statisch zu verstehen, sondern waren einer dauernden Wandlung unterzogen. So umfasste der Begriff "Chiemgau" anfangs nur das Gebiet im direkten Umkreis des Dorfes Chieming und wurde räumlich ausgeweitet bis zum heutigen Umfang der Region rund um den Chiemsee bis in die Chiemgauer Alpen. Die in den Salzburger Güterverzeichnissen des 8. Jahrhunderts aufscheinenden Orte mit dem Zusatz „im Chiemgau“ liegen alle zwischen Chiemsee und Waginger See. Nördlich des Chiemsees lag der nur die Umgebung des Ortes Obing umfassende Obinggau, welcher ebenfalls in der Notitia Arnonis verzeichnet ist.
Der Name Chiemgau ist erstmals in der [[Salzburger Güterverzeichnisse|Notitia Arnonis]] (788-790) als ''pago Chimingaoe'' erwähnt. Die Gebietsbezeichnung geht auf das Dorf Chieming zurück, dessen Name wohl von dem Personennamen ''Chiemo'' abgeleitet ist und das auch dem Chiemsee seinen Namen gab. Die in Quellen bezeugten Orts- und Landschaftsbezeichnungen sind nicht statisch zu verstehen, sondern waren einer dauernden Wandlung unterzogen. So umfasste der Begriff "Chiemgau" anfangs nur das Gebiet im direkten Umkreis des Dorfes Chieming und wurde räumlich ausgeweitet bis zum heutigen Umfang der Region rund um den Chiemsee bis in die Chiemgauer Alpen. Die in den Salzburger Güterverzeichnissen des 8. Jahrhunderts aufscheinenden Orte mit dem Zusatz „im Chiemgau“ liegen alle zwischen Chiemsee und Waginger See. Nördlich des Chiemsees lag der nur die Umgebung des Ortes Obing umfassende Obinggau, welcher ebenfalls in der Notitia Arnonis verzeichnet ist.
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Das Gebiet nördlich und östlich von Gars am Inn lag im [[Isengau]].
Das Gebiet nördlich und östlich von Gars am Inn lag im [[Isengau]].


Eine mögliche politische Bedeutung der mittelalterlichen Gaue sind in der historischen Forschung bis heute nicht hinreichend geklärt. Nach dem Sturz des Herzogshauses der Agilolfinger 788, und der Eingliederung Bayerns in das Frankenreich teilte man das Land in Grafschaften ein, die von Grafen geleitet wurden. Damit hatten die Gaue ihre frühere wohl politische bzw. verwaltungstechnische Bedeutung verloren und ihre Namen wurden zu reinen Landschaftsbezeichnungen. Etliche dieser Namen, wie z.B. [[Gau Inter Valles|Inter Valles]] ("zwischen den Tälern"), [[Isengau]], Mattiggau, Sundergau, [[Zeidlarngau]] und [[Salzburggau]] verschwanden im Laufe der Jahrhunderte. "Chiemgau" ist der einzige Gauname der Agilolfingerzeit, der sich in [[Altbayern]] bis heute erhalten hat. Allerdings ist noch nicht erforscht, ob die Bezeichnung tatsächlich durchgängig in Gebrauch war oder erst später (18./19. Jh.) in historisierender Absicht wiederbelebt wurde.  
Eine mögliche politische Bedeutung der mittelalterlichen Gaue ist von der historischen Forschung bis heute nicht hinreichend geklärt. Nach dem Sturz des Herzogshauses der Agilolfinger 788, und der Eingliederung Bayerns in das Frankenreich teilte man das Land in Grafschaften ein, die von Grafen geleitet wurden. Damit hatten die Gaue ihre frühere wohl politische bzw. verwaltungstechnische Bedeutung verloren und ihre Namen wurden zu reinen Landschaftsbezeichnungen. Etliche dieser Namen, wie z.B. [[Gau Inter Valles|Inter Valles]] ("zwischen den Tälern"), [[Isengau]], Mattiggau, Sundergau, [[Zeidlarngau]] und [[Salzburggau]] verschwanden im Laufe der Jahrhunderte. "Chiemgau" ist der einzige Gauname der Agilolfingerzeit, der sich in [[Altbayern]] bis heute erhalten hat. Allerdings ist noch nicht eingehend untersucht, inwieweit die Bezeichnung durchgängig in Gebrauch war oder erst später (im 18. oder 19. Jahrhundert) in historisierender Absicht für ein größeres Gebiet wiederbelebt wurde. Johann Andreas Schmeller schreibt 1837: ''Von den ältern Bezirksnamen dieser Art leben noch mehrere im Volke fort; z. B. das Allgäu, Attergäu, Chiemgäu (Kheǝ ͂ kǝ), Duenagäu (Donaugäu) „Dunkǝ ͂“ , Pinzgäu etc.''
In einem Herzogsurbar aus den Jahren nach 1301 erscheint für die Gegend nördlich des Grassauer Tals (Tal der Tiroler Ache) die Bezeichnung ''„in dem Chyemkäv“''. Das Landgericht Traunstein war seit dem 14. Jahrhundert in so genannte Schergenämter unterteilt. Dazu gehörte das ''„ampt in dem Chiempkäv“'' welches das Gebiet zwischen dem Chiemsee und der Traun umfasste. Im 15. Jahrhundert teilte man es in das ''„Amt Oberchiemgau“'', das von Bernhaupten (bei Bergen) bis Erlstätt reichte. Das ''„Amt Niederchiemgau“'' umfasste das Gebiet nördlich von Erlstätt bis Haßmonig bei St. Georgen.
 
Das Kloster Baumburg verfügte laut den Urbaren von 1204 und 1245 über Besitz „im Chiemgau“ in Chieming, Höchstätt, Stöttham, Aufham, Pfaffing und Laimgrub. Die Orte liegen alle in unmittelbarer Nähe von Chieming.  
In einem Herzogsurbar aus den Jahren nach 1301 erscheint für die Gegend nördlich des Grassauer Tals (Tal der Tiroler Ache) die Bezeichnung ''„in dem Chyemkäv“'' (Chiemgäu, sächlich!). Das Landgericht Traunstein war seit dem 14. Jahrhundert in so genannte Schergenämter unterteilt. Dazu gehörte das „ampt in dem Chiempkäv“ welches ein Gebiet zwischen dem Chiemsee und der Traun umfasste. Im 15. Jahrhundert änderte man die Einteilung. Dadurch entstand das „Amt Oberchiemgau“, das in etwa dem alten Amt Chiemgau (ohne den Bergener Winkel) entsprach und von Bernhaupten bei Bergen bis Erlstätt reichte. Das „Amt Niederchiemgau“ umfasste das Gebiet nördlich von Erlstätt bis Haßmonig bei St. Georgen. Diese Einteilung blieb bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts bestehen.  




'''Adelsgeschlechter im Chiemgau'''
'''Adelsgeschlechter im Chiemgau'''


In den Geschichtsquellen finden sich Hinweise darauf, dass Grafschaften auf Grundlage von Gauen errichtet wurden. Allerdings bestanden innerhalb eines Gaus auch mehrere Grafschaften oder Grafschaften dehnten sich über Gaugrenzen oder mehrere Gaue hinweg aus. Die moderne Geschichtswissenschaft beurteilt die Einführung und Verwendung der Begriffe „Gaugraf“ und „Gaugrafschaft“ durch Historiker des 18. und 19. Jahrhunderts als Konstrukt ohne Quellengrundlage.
In den Geschichtsquellen finden sich Hinweise darauf, dass Grafschaften auf Grundlage von Gauen errichtet wurden. Allerdings bestanden oft innerhalb eines Gaus auch mehrere Grafschaften oder Grafschaften dehnten sich über Gaugrenzen oder mehrere Gaue hinweg aus. Die beiden Begriffe ''Gau'' und ''Grafschaft'' müssen daher nicht in einem Zusammenhang stehen. Die moderne Geschichtswissenschaft beurteilt die Einführung und Verwendung der Begriffe „Gaugraf“ und „Gaugrafschaft“ durch Historiker des 18. und 19. Jahrhunderts als Konstrukt ohne Quellengrundlage.
Im Chiemgau verfügten um 1200 bedeutende Adelsgeschlechter über Besitz und Rechte, starben jedoch im 13. Jh. aus: Im Südwesten und westlich des Chiemsees die Grafen von Falkenstein (erloschen 1272) mit dem Hauptsitz „Hadmarsberg“ (Hartmannsberg) und im Nordwesten die Grafen von Wasserburg (erl. 1259). Den Grafen von Ortenburg und Kraiburg (erl. 1248)  gehörte die Herrschaft Marquartstein und Besitz nördlich des Chiemsees. Nach dem Erlöschen dieser Geschlechter wollten sowohl die Salzburger Erzbischöfe als auch die bayerischen Herzöge deren Rechte und Besitz an sich bringen.
Im Chiemgau verfügten um 1200 bedeutende Adelsgeschlechter über Besitz und Rechte, starben jedoch im 13. Jh. aus: Im Südwesten und westlich des Chiemsees die Grafen von Falkenstein (erloschen 1272) mit dem Hauptsitz „Hadmarsberg“ (Hartmannsberg) und im Nordwesten die Grafen von Wasserburg (erl. 1259). Den Grafen von Ortenburg und Kraiburg (erl. 1248)  gehörte die Herrschaft Marquartstein und Besitz nördlich des Chiemsees. Nach dem Erlöschen dieser Geschlechter wollten sowohl die Salzburger Erzbischöfe als auch die bayerischen Herzöge deren Rechte und Besitz an sich bringen.


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'''Der Chiemgau bleibt bei Bayern'''
'''Der Chiemgau bleibt bei Bayern'''


Seit dem 8. Jahrhundert verfügte die Salzburger Kirche im Chiemgau über Streubesitz in 20 Orten. Die Erzbischöfe versuchten, Grafschaften und Gerichte in diesem Gebiet zu erwerben, um damit die Herrschaft über den gesamten Chiemgau zu erlangen.  
Seit dem 8. Jahrhundert verfügte die Salzburger Kirche im Gebiet des heutigen Chiemgaus über Streubesitz in mehr als 20 Orten. Die Erzbischöfe versuchten, Grafschaften und Gerichte in diesem Gebiet zu erwerben, um damit die Herrschaft über den gesamten Chiemgau zu erlangen.  
Zunächst aber sicherten sie sich die Herrschaft über den [[Salzburggau]]: Nachdem 1229 die Grafen von Lebenau im unteren (nördlichen) Salzburggau ausgestorben waren, konnte der Salzburger Erzbischof Eberhard II. deren Grafschaft größtenteils für sich gewinnen. Den Erwerb der Grafschaft Lebenau sicherte der Salzburger Erzbischof 1245 im ersten Vertrag von Erharting (mit dem bayerischen Herzog) rechtlich ab. Als Gegenleistung musste er auf die Erwerbung der Lehen des Pfalzgrafen Rapoto von Ortenburg, des Grafen Konrad von Wasserburg und der Grafen von Falkenstein um den Chiemsee verzichten. Damit gab er sein ursprüngliches Ziel auf, seine Herrschaft über den Chiemgau bis an den Inn auszudehnen. Der Chiemgau mit Traunstein fiel an die Wittelsbacher. Im zweiten Vertrag von Erharting (1275) erkannte der bayerische Herzog die Westgrenze des Salzburger Herrschaftsgebiets weitgehend an. Diese Grenze bestand im Wesentlichen bis 1810, als das [[Bayern und Salzburg|Land Salzburg]] an Bayern fiel.
Zunächst aber sicherten sie sich die Herrschaft über den [[Salzburggau]]: Nachdem 1229 die Grafen von Lebenau im unteren (nördlichen) Salzburggau ausgestorben waren, konnte der Salzburger Erzbischof Eberhard II. deren Grafschaft größtenteils für sich gewinnen. Den Erwerb der Grafschaft Lebenau sicherte der Salzburger Erzbischof 1245 im ersten Vertrag von Erharting (mit dem bayerischen Herzog) rechtlich ab. Als Gegenleistung musste er auf die Erwerbung der Lehen des Pfalzgrafen Rapoto von Ortenburg, des Grafen Konrad von Wasserburg und der Grafen von Falkenstein um den Chiemsee verzichten. Damit gab er sein ursprüngliches Ziel auf, seine Herrschaft über den Chiemgau bis an den Inn auszudehnen. Der Chiemgau mit Traunstein fiel an die Wittelsbacher. Im zweiten Vertrag von Erharting (1275) erkannte der bayerische Herzog die Westgrenze des Salzburger Herrschaftsgebiets weitgehend an. Diese Grenze bestand im Wesentlichen bis 1810, als das [[Bayern und Salzburg|Land Salzburg]] an Bayern fiel.


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Datei:LA1988.jpg|Gaue des Herzogtums Baiern 788
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Datei:Rentamt München.jpg|Rentamt München 1792
Datei:Salzachkreis 1810.JPG| Salzachkreis 1810 - 1816
Datei:Salzachkreis 1810.JPG| Salzachkreis 1810 - 1816
Datei:Kirchenprovinz Salzburg.jpg|Kirchenprovinz Salzburg
Datei:Bistum Chiemsee.jpg|Das Bistum Chiemsee mit seinen zehn Pfarreien
Datei:Bistum Chiemsee.jpg|Das Bistum Chiemsee mit seinen zehn Pfarreien
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Heinz Dopsch, Hans Spatzenegger, Geschichte Salzburgs, 1999, Band I/1, S. 169-172, 209, 337-346
Heinz Dopsch, Hans Spatzenegger, Geschichte Salzburgs, 1999, Band I/1, S. 169-172, 209, 337-346


Richard van Dülmen, Historischer Atlas von Bayern, I, 26, Traunstein, 1970
Richard van Dülmen, Historischer Atlas von Bayern, I, 26, Traunstein, 1970, S. 6, 39, 58, 94


Fritz Losek, Notitia Arnonis und Breves Notitiae, die Salzburger Güterverzeichnisse aus der Zeit um 800, MGSLK 130/1990
Fritz Losek, Notitia Arnonis und Breves Notitiae, die Salzburger Güterverzeichnisse aus der Zeit um 800, MGSLK 130/1990
Alfred Mayer, Die Land- und Pfleggerichte, in: Heimatbuch des Landkreises Traunstein, I, Historischer Teil, S. 261 ff., 271
Johann Andreas Schmeller, Bayerisches Wörterbuch, 1837 (2. Aufl. 1877), Sp. 853-857
Franz Tyroller, Der Chiemgau und seine Grafschaften, München 1954
Ludwig Zehetner, Bairisches Deutsch, Lexikon der deutschen Sprache in Altbayern, 2018, S. 137


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