Grafschaft Reichenhall

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Grafschaft Reichenhall und Hallgrafschaft 12./13. Jh.

Die Grafschaft Reichenhall war eine im 12. und beginnenden 13. Jahrhundert etablierte Grafschaft im heutigen Stadtgebiet von Bad Reichenhall sowie Gemeindegebiet Schneizlreuth. Sie erstreckte sich hauptsächlich auf den Bereich westlich der Saalach bis zum Steinpass bei Melleck. Nach dem Jahr 1218 wurde die Grafschaft Reichenhall mit der Hallgrafschaft vereinigt und ging in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts im Pfleggericht Reichenhall auf. Die Grafschaft Reichenhall ist räumlich, zeitlich und inhaltlich von der Hallgrafschaft zu unterscheiden.

Der um 1255 verfasste Anhang des „Landbuchs von Österreich und Steyr“ nennt „die Vogtei zu Hall“ (Reichenhall) als eine erledigte Gerechtsame des Adelsgeschlechts der Peilsteiner. In späteren Urkunden (1218) wird diese Vogtei als Grafschaft bezeichnet. Dabei handelte es sich um ein salzburgisch-erzbischöfliches Lehen, das sich links der Saalach im Reichenhaller Tal erstreckte und vermutlich bis zum Steinbach bei Melleck reichte. Zur Grafschaft Reichenhall gehörte auch das Inzeller Becken, das im Jahre 1177 auf Bitten des Lehensnehmers, des Grafen von Peilstein, vom Lehensherrn, dem Erzbischof von Salzburg, an das Augustiner-Chorherrenstift St. Zeno geschenkt wurde. Mittelpunkt der Grafschaft war die Burg Karlstein; als weiterer militärischer Stützpunkt diente die Burg Kirchberg.

Über die Entstehung der Grafschaft liegen keine Quellen vor; eine frühmittelalterliche Entstehung ist auszuschließen. Wie der Salzburger Erzbischof in den Besitz der Grafschaft kam, ist ebenfalls unbekannt. Vermutlich entstanden die Gerichtsrechte im Zuge der Etablierung der Hallgrafschaft in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts. In den 1120er Jahren übertrug der Salzburger Erzbischof die Grafschaft Reichenhall seinem Hochstiftsvogt, Konrad I. von Peilstein. Dieser nannte sich in der Folge wiederholt (vor 1130, 1139, ca. 1145, 1156) „Graf von Reichenhall“, ebenso seine Frau Adela sowie sein Sohn Siegfried I. (1149). Eine 1149 in Regensburg ausgestellte Urkunde nennt ausdrücklich sowohl den Hallgrafen Engelbert von Wasserburg als auch Siegfried I. von Peilstein als „Reichenhaller Grafen“ (Hallenses Comites), womit die gleichzeitige Existenz zweier voneinander unterschiedener Grafschaften im Reichenhaller Tal belegt ist.

Unter dem Herzog Heinrich dem Löwen erfolgte um das Jahr 1169/70 eine Vereinigung der Hallgrafschaft sowie der Grafschaft Reichenhall. Diese vergrößerte und dem Bayernherzog unterstellte Grafschaft wurde durch einen herzoglichen Richter verwaltet. Nach dem Tode des Herzogs Otto von Wittelsbach im Jahre 1183 wurde der ursprüngliche Zustand zweier getrennter Grafschaften auf Druck des ehemaligen Hallgrafen Dietrich II. wieder hergestellt. Dieser nutzte dabei die schwache Stellung des erst 10-jährigen Herzogs Ludwig I. aus.

Das Verhältnis zwischen dem Erzbischof und dem Grafen von Peilstein war allerdings im Zuge des Alexandrinischen Schismas und der damit verbundenen politischen Krise im Reichenhaller Raum getrübt worden, weshalb der Erzbischof in Reichenhall mit den Burgen Vager und Amerang neue militärische Stützpunkte errichten und diese mit Ministerialen besetzen ließ. Die Peilsteiner zeichneten fortan in den Urkunden nicht mehr als „Reichenhaller Grafen“, was dafür spricht, dass die Erzbischöfe ihre Gerichtsrechte in diesem Gebiet anderweitig wahrnehmen ließen.

Nach dem Aussterben der Peilsteiner im Mannesstamm 1218 hätte die Grafschaft Reichenhall eigentlich an den Salzburger Erzbischof zurückfallen müssen. Allerdings teilt das „Landbuch von Österreich und Steyr“ mit, dass sich der Bayernherzog Ludwig I. ihrer „unterwunden“ habe, was eine eigenmächtige Besitzaneignung andeutet. Auch die Hallgrafschaft beanspruchte der Herzog nun für sich, indem er sich auf den Zustand einer vereinigten Grafschaft zu Zeiten seines Vaters Otto berief. Der Vertrag von Nürnberg 1218 sah vor, diesen Zustand, der in den Jahren von 1169/70 bis 1183 die Vereinigung von Hallgrafschaft und Grafschaft Reichenhall gebracht hatte, wieder herzustellen und dem Bayernherzog die Rechte darüber einzuräumen. Ausdrücklich wird dabei darauf hingewiesen, dass damit die Grafschaft auf beiden Seiten der Saalachbrücke (heute: Luitpoldbrücke) gemeint sei. Damit ist die Saalach als Grenzpunkt der beiden ehemaligen Grafschaften formuliert.

Der Erzbischof konnte im Zuge der Vertragsverhandlungen seinen Rechtsstandpunkt über die Grafschaft nicht behaupten; trotzdem hat die Salzburger Kirche auf ihre Rechte an der Stadt Reichenhall nie förmlich verzichtet. Dies führte zumindest während des 13. Jahrhunderts zur Ausübung von erzbischöflichen Gerichtsrechten in Reichenhall, wie sie im Erhartinger Vertrag von 1275 festgelegt wurden.

Da die Bayernherzöge ihre im Vertrag von Nürnberg 1218 fixierten Positionen auch unter Anwendung gewaltsamer Maßnahmen nicht mehr aufgaben, schufen sie mit dem Territorium, welches das gesamte 13. Jahrhundert über in den Quellen als „Grafschaft Reichenhall“ genannt wird, das Gebiet des späteren Pfleggerichts Reichenhall. Im Jahre 1290 wird mit Ortlieb von Wald erstmals ein herzoglicher Pfleger von Reichenhall genannt. Eine Beschreibung des Pfleggerichts aus dem beginnenden 14. Jahrhundert verwendet traditionsgemäß den Begriff der „Grafschaft Reichenhall“, obwohl die Grafschaft spätestens in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts im Pfleggericht aufgegangen war und nicht mehr existierte. Bis in das 16. Jahrhundert herauf sprechen die Quellen vereinzelt von der „Grafschaft“, wenn sie das Pfleggericht meinen.

Literatur:

Johannes Lang: Geschichte von Bad Reichenhall, 2009, S. 127–190.

Franz Tyroller: Handbuch der Genealogie und Besitzgeschichte des bayerischen Hochadels im Mittelalter (Originalhandschrift des Verfassers; Original bei der Kommission für Bayerische Landesgeschichte; transkribiert von Anton Datz, S. 182–203).

Bearbeitung: Johannes Lang