3.777
Bearbeitungen
Keine Bearbeitungszusammenfassung |
Keine Bearbeitungszusammenfassung |
||
Zeile 1: | Zeile 1: | ||
{{Vorlage:Beschreibung}} | {{Vorlage:Beschreibung}} | ||
Milchzentralisation – Milchstreik - Landesfettstelle | [[Image:1911.JPG|thumbnail|Nonner Bäuerinnen bei der Frischmilchlieferung nach Bad Reichenhall, um 1911]] | ||
[[Image:1924.JPG|thumbnail|Nonner Bauernmädchen bei der Milchlieferung nach Bad Reichenhall, um 1924]] | |||
"Milchzentralisation" – "Milchstreik" - "Landesfettstelle" | |||
Die vorstehenden Begriffe waren 1918/19 die Themen einer Auseinandersetzung zwischen dem Magistrat der Stadt Bad Reichenhall und den Bauern der Umgebungsgemeinden. | Die vorstehenden Begriffe waren 1918/19 die Themen einer Auseinandersetzung zwischen dem Magistrat der Stadt Bad Reichenhall und den Bauern der Umgebungsgemeinden. | ||
Zeile 87: | Zeile 89: | ||
Haus der Bayerischen Geschichte, www.hdbg.de | Haus der Bayerischen Geschichte, www.hdbg.de | ||
== Anlage == | |||
''(Originaltext der Erklärung in damaliger Rechtschreibung)'' | |||
Erklärung ! | |||
Auf die "Erklärung" der Marzoller Milchbauern im Reichenhaller Grenzboten | |||
sei nachstehendes erwidert. | |||
1. Der Stadtmagistrat ist verpflichtet, für eine geregelte Milchversorgung der städtischen | |||
Bevölkerung zu sorgen.Um eine gerechte Verteilung der angelieferten Milchmengen | |||
sicherzustellen, mußte angeordnet werden, daß die gesamten Milchmengen von einer | |||
einzigen Sammelstelle erfaßt und von dieser an die einzelnen Milchverkaufsgeschäfte | |||
unterverteilt werden. Ist viel Milch vorhanden, wird viel verteilt, ist weniger Milch vorhanden, | |||
wird weniger verteilt. Immer aber wird die Verteilung gleichheitlich gehandhabt. | |||
Jeder Vernünftige begreift das. Die Milchbauern von Marzoll begreifen es nicht. | |||
2. Die Milchzentralisierung ist ein notwendiges Übel.Das kann offen zugestanden werden. | |||
Sie ist mit manchen Unzuträglichkeiten verbunden, die Milch wird verteuert und nicht besser. | |||
Diese Nachteile müssen indessen in Kauf genommen werden. Ohne die Milchzentralisierung | |||
würde das Übel noch größer, ja unerträglich. Eine Minderheit der Versorgungsberechtigten | |||
würde die ganze ihr zustehende Milch, häufig noch mehr, die Mehrheit aber viel weniger | |||
als das ihr zustehende oder gar nichts erhalten. Diese Befürchtung ist nicht aus der Luft | |||
gegriffen Die Erfahrung hat es gelehrt. | |||
3. Die Milchzentrale konnte seitens der Stadt nur an einer Stelle errichtet werden,die über | |||
die entsprechenden technischen Einrichtungen und geschultes Personal verfügt. Das sieht | |||
wieder jeder Vernünftige ein. Die Milchbauern von Marzoll sehen es nicht ein, weil die | |||
Milchzentrale den Namen "Spieldiener" führt. Kann man der Stadtgemeinde im Ernst zumuten, | |||
unter ungeheuren Kosten für Apparate, Ladenmiete, Personalanstellungen usw., für eine | |||
voraussichtlich nicht allzulange Spanne Zeit eine eigene Milchzentrale zu errichten, nachdem | |||
am Ort selbst eine (einzige !) vorzüglich eingerichtete Molkerei besteht. | |||
4. Die Milchbauern sind nach Gesetz und Gewissen verpflichtet ihre Milch an die städtischen | |||
Sammelstellen abzuliefern. Auf welche Weise die Stadt die Milch an ihre Einwohner verteilt, | |||
geht die Milchbauern nichts an, darüber hat einzig und allein der Stadtmagistrat zu befinden. | |||
Der Magistrat mischt sich ebensowenig in die inneren Verhältnisse einer Landgemeinde ein. | |||
Was dem einen recht ist, muß dem anderen billig sein. | |||
5. Indem die Marzoller Milchbauern der ihnen nach Gesetz und Gewissen obliegenden | |||
Milchlieferungen an die verordneten städt. Sammelstellen nicht nachkamen, haben sie | |||
Milchstreik getrieben. Daran ändert nichts ihre Behauptung, wonach sie die Milch an private | |||
oder Milchverkaufsstellen wollen geliefert haben. Gegenüber der für die Milchversorgung und | |||
Milchverteilung ausschließlich zuständigen und verantwortlichen Stadtverwaltung haben sie | |||
gestreikt. | |||
6. Ueber die einfältige Unterstellung, als hätten die Magistratsmitglieder und der Bürgermeister | |||
als " Freunde " des Herrn Spieldiener diesem zur Erhöhung der Rentabilität seines Betriebs die | |||
Milchzentrale zugeschanzt, könnte man mit einem mitleidigen Lächeln hinweggehen, wenn | |||
diese Unterstellung nicht ein trauriges Beispiel für eine Kampfesweise böte, die über den | |||
Mangel sachlicher Gründe durch gehässige persönliche Angriffe hinwegzutäuschen sucht | |||
Bad Reichenhall, 20. Februar 1919 | |||
Stadtmagistrat | |||
Rechtsk. Bürgermeister: S ö l l n e r | |||
'''Bearbeitung:''' Rudolf Schamberger |