Milchzentralisation und Milchstreik nach dem Ersten Weltkrieg: Unterschied zwischen den Versionen

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Die vorstehenden Begriffe waren 1918/19 die Themen einer Auseinandersetzung zwischen
Die vorstehenden Begriffe waren 1918/19 die Themen einer Auseinandersetzung zwischen
dem Magistrat der Stadt Bad Reichenhall und den Bauern  der Umgebungsgemeinden.
dem Magistrat der Stadt Bad Reichenhall und den Bauern  der Umgebungsgemeinden.
Die Bauern der vereinigten Gemeinden des Bezirks Reichenhall-Nord: ( Marzoll, Piding, Aufham, Högl und Stoißberg = Anger ) protestierten am 21. Oktober 1918 bei der Landesfettstelle in München gegen die Einführung der Zentralversorgung für Milch. In den der Stadt näher gelegenen Gemeinden: ( Karlstein/Nonn, Bayerisch-Gmain und St.Zeno )
Die Bauern der vereinigten Gemeinden des Bezirks Reichenhall-Nord: ( Marzoll, Piding, Aufham, Högl und Stoißberg = Anger ) protestierten am 21. Oktober 1918 bei der Landesfettstelle in München gegen die Einführung der Zentralversorgung für Milch. In den der Stadt näher gelegenen Gemeinden: ( Karlstein/Nonn, Bayerisch Gmain und St.Zeno )
waren die Bauern zwar ähnlicher Meinung, verhielten sich jedoch kooperativer.   
waren die Bauern zwar ähnlicher Meinung, verhielten sich jedoch kooperativer.   
In mehreren Sitzungen vom September 1918 bis Juni 1919 musste der Magistrat
In mehreren Sitzungen vom September 1918 bis Juni 1919 musste der Magistrat
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zusätzlich die Kurgäste zu versorgen.
zusätzlich die Kurgäste zu versorgen.
Manche Kurgäste waren damals in Bad Reichenhall  nicht nur zur Kur, sondern auch in der Hoffnung auf eine bessere Lebensmittelversorgung während des Ersten Weltkriegs.
Manche Kurgäste waren damals in Bad Reichenhall  nicht nur zur Kur, sondern auch in der Hoffnung auf eine bessere Lebensmittelversorgung während des Ersten Weltkriegs.
Im Gegensatz zu früheren Kriegsjahren waren im Winterhalbjahr 1918/19 mehr Gäste am Ort als davor. Dies verschärfte die durch den Krieg entstandene Notlage, deshalb war man auf zusätzliche Zuweisungen durch die Landesfettstelle angewiesen.
Im Gegensatz zu früheren Kriegsjahren waren im Winterhalbjahr 1918/19 mehr Gäste am Ort als davor, obwohl für den Aufenthalt eine Sondererlaubnis notwendig war.
Dies verschärfte die durch den Krieg entstandene Notlage, deshalb war man auf
zusätzliche Zuweisungen durch die Landesfettstelle angewiesen.
Der Konflikt mit den Landwirten wurde zudem überlagert von einem Gegensatz der Interessen zwischen den Fremdenverkehrsbetrieben und der übrigen Bevölkerung.
Der Konflikt mit den Landwirten wurde zudem überlagert von einem Gegensatz der Interessen zwischen den Fremdenverkehrsbetrieben und der übrigen Bevölkerung.
Nach alter Tradition wurde Frischmilch auch als Kurmittel vermarktet.
Nach alter Tradition wurde Frischmilch auch als Kurmittel vermarktet.
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Bis dahin war die Milch nur über die Milchkarte rationiert, jeder konnte sich mit Hilfe
Bis dahin war die Milch nur über die Milchkarte rationiert, jeder konnte sich mit Hilfe
höherer Bezahlung zusätzliche Mengen beschaffen. Finanziell schlechter gestellte Einwohner konnten auf diesem Weg nicht mithalten.
höherer Bezahlung zusätzliche Mengen beschaffen. Finanziell schlechter gestellte Einwohner konnten auf diesem Weg nicht mithalten.
Um den Ablauf der Zentralisierung und die Ablieferungsmengen zu sichern, wurde ein Milchkontrolleur ( für eine Monatsentlohnung von 250 Mark ) eingestellt.
Um den Ablauf der Zentralisierung und die Ablieferungsmengen zu sichern, wurde ein Milchkontrolleur ( für eine Monatsentlohnung von 250 Mark ) eingestellt.
Die Bauern meinten bei ihrem Protest, diese Entschädigung würde die Milch unnötig  verteuern, früher seien die Kontrollen ehrenamtlich erfolgt.
Die Bauern meinten bei ihrem Protest, diese Entschädigung würde die Milch unnötig  verteuern, früher seien die Kontrollen ehrenamtlich erfolgt.
Aufgabe des Milchkontrolleurs war es auch, das sogenannte " Milchpantschen " mit Wasser zu unterbinden. Die Bauern sollten für den Liter Milch 30 Pfennig bekommen, die  Endbezieher 44 Pfennig bezahlen.
Aufgabe des Milchkontrolleurs war es auch, das sogenannte " Milchpantschen " mit Wasser zu unterbinden. Die Bauern sollten für den Liter Milch 30 Pfennig bekommen, die  Endbezieher 44 Pfennig bezahlen. Bei dieser Differenz erschien es den Bauern lukrativer, direkt die  Verbraucher zu beliefern. Sie argumentierten vor allem damit, dass die Qualität der Milch durch das Zentralsystem schlechter und der Preis für den Kunden höher würde, außerdem würden die 30 Pfennig ihre Kosten nicht decken. Unter diesen Bedingungen wäre es wirtschaftlicher, die Milch an die Kälber zu verfüttern.
Bei dieser Differenz erschien es den Bauern lukrativer, direkt die  Verbraucher zu beliefern.
Sie argumentierten vor allem damit, dass die Qualität der Milch durch das Zentralsystem schlechter und der Preis für den Kunden höher würde, außerdem würden die 30 Pfennig ihre Kosten nicht decken. Unter diesen Bedingungen wäre es wirtschaftlicher, die Milch an die Kälber zu verfüttern.
Besonderen Widerstand zeigten dabei die Marzoller Bauern. Die Landwirte der anderen Gemeinden ließen eher Einsicht in die Notwendigkeit der Zentralisierung erkennen.
Besonderen Widerstand zeigten dabei die Marzoller Bauern. Die Landwirte der anderen Gemeinden ließen eher Einsicht in die Notwendigkeit der Zentralisierung erkennen.
Nachdem  mit dem  Ende des Krieges  im November 1918 Kaiser- und Königreich zusammengebrochen waren, wurde vom inzwischen gegründeten Volks-und Soldatenrat die Entscheidung des Magistrats vom September zur Milchzentralisierung erneuert.
Nachdem  mit dem  Ende des Krieges  im November 1918 Kaiser- und Königreich zusammengebrochen waren, wurde vom inzwischen gegründeten Volks-und Soldatenrat die Entscheidung des Magistrats vom September zur Milchzentralisierung erneuert.
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Die Landesfettstelle sandte auf Anforderung des Bezirksamtes per Expressgut
Die Landesfettstelle sandte auf Anforderung des Bezirksamtes per Expressgut
zusätzlich kondensierte Milch.
zusätzlich kondensierte Milch.
Trotz der Warnung der Behörden und Androhungen des Soldatenrates, die Kühe der Bauern zu beschlagnahmen, ging der Streik der Milchproduzenten weiter.
Trotz der Warnung der Behörden und Androhungen des Soldatenrates, die Kühe der Bauern zu beschlagnahmen, ging der Streik der Milchproduzenten weiter.
Mit einer spontanen Aktion zwangen 40 Arbeitslose und fünf Soldaten  die säumigen Bauern von St. Zeno zur vorgeschriebenen Milchablieferung.
Mit einer spontanen Aktion zwangen 40 Arbeitslose und fünf Soldaten  die säumigen Bauern von St. Zeno zur vorgeschriebenen Milchablieferung.
Kurz darauf, im  Februar 1919, nahmen sechs amtliche Kontrolleure der Landesfettstelle, sechs Gendarmen und fünf bewaffnete Militärposten in Marzoll bei den Bauern Stallkontrollen vor und setzen das tägliche Soll zur Ablieferung nach Bad Reichenhall auf 270 Liter fest.
Kurz darauf, im  Februar 1919, nahmen sechs amtliche Kontrolleure der Landesfettstelle, sechs Gendarmen und fünf bewaffnete Militärposten in Marzoll bei den Bauern Stallkontrollen vor und setzen das tägliche Soll zur Ablieferung nach Bad Reichenhall auf 270 Liter fest.
Eine scharfe Erklärung des Magistrats und Bürgermeisters Fritz Söllner vom 20.2.1919
Eine scharfe Erklärung des Magistrats und Bürgermeisters Fritz Söllner vom 20.2.1919
auf die Proteste der Marzoller Bauern gibt einen guten Überblick über die Argumente
auf die Proteste der Marzoller Bauern gibt einen guten Überblick über die Argumente
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Bereits im  April 1919 hatten Bauernrat und  Arbeiterrat darüber beraten, ob die Zwangsbewirtschaftung für die Milch bereits aufgehoben werden könne, dafür war es
Bereits im  April 1919 hatten Bauernrat und  Arbeiterrat darüber beraten, ob die Zwangsbewirtschaftung für die Milch bereits aufgehoben werden könne, dafür war es
jedoch noch zu früh, wie die folgenden Monate des Jahres zeigten.
jedoch noch zu früh, wie die folgenden Monate des Jahres zeigten.
Im Juli 1919 kam es erneut zu einer geringeren Milchanlieferung: Statt 2200 Liter
Im Juli 1919 kam es erneut zu einer geringeren Milchanlieferung: Statt 2200 Liter
wurden nur 1200 Liter angeliefert, Hagelwetter soll der Grund gewesen sein.
wurden nur 1200 Liter angeliefert, Hagelwetter soll der Grund gewesen sein.
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Im Januar 1920 kostete nach amtlicher Bekanntmachung 1 Liter Milch 1,14 Mark,
Im Januar 1920 kostete nach amtlicher Bekanntmachung 1 Liter Milch 1,14 Mark,
nur vier Monate zuvor war der amtlich Preis noch bei 66 Pfennig gelegen.
nur vier Monate zuvor war der amtlich Preis noch bei 66 Pfennig gelegen.
Die Zwangsbewirtschaftung für Milch wurde in Bad Reichenhall erst im Mai 1921
wieder aufgehoben, bei gleichzeitiger Preisanhebung auf 2,50 Mark
Die aufkommende Inflation war also bereits erkennbar.
Die aufkommende Inflation war also bereits erkennbar.


'''Quellen :'''


Der Grenzbote 1918 und 1919 (Archiv der Stadt Bad Reichenhall)
'''Quellen:'''
 
Der Grenzbote 1918 – 1921 (Archiv der Stadt Bad Reichenhall)


Beschlussprotokoll des Magistrats 1918 -19 (Archiv der Stadt Bad Reichenhall)
Beschlussprotokoll des Magistrat 1918 -19 (Archiv der Stadt Bad Reichenhall)


Johannes Lang, Geschichte von Bad Reichenhall, 2009, S.768
Johannes Lang: Geschichte von Bad Reichenhall, 2009, S.768
Haus der Bayerischen Geschichte, www.hdbg.de
Haus der Bayerischen Geschichte, www.hdbg.de
 
Fotos: Rudolf Schamberger
 
 
'''Bearbeitung:''' Rudolf Schamberger




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