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Vor dem 17. Jahrhundert unterschied sich das Gewand regional kaum. Zwischen Stadt- und Landbewohnern bestanden Unterschiede in Material, Farben und Verzierung, weniger im Schnitt. Die jeweiligen Stände trugen unterschiedliche Kleidung, eiferten jedoch den Fürstenhöfen in Sachen Mode nach. Neuerungen übernahmen zunächst die Adeligen, dann die Bürger und schließlich die Handwerker und Bauern. Auf diese Weise erreichten die Modeströmungen mit zeitlicher Verzögerung alle Schichten der Bevölkerung. Das Erscheinungsbild der Kleidung hing ab vom wirtschaftlichen Wohlstand der Bevölkerung und vom textilen Handwerk der Gegend. In der Region um Reichenhall wurde aus Flachs Leinen und aus Wolle Loden hergestellt. Außerdem wirkten sich verschiedene Einflüsse von außen und Kleiderordnungen des Landesherrn auf die Entwicklung der orts- oder standesüblichen Tracht aus. So etwa die Bayerische Kleiderordnung Kurfürst Maximilians von 1626. | Vor dem 17. Jahrhundert unterschied sich das Gewand regional kaum. Zwischen Stadt- und Landbewohnern bestanden Unterschiede in Material, Farben und Verzierung, weniger im Schnitt. Die jeweiligen Stände trugen unterschiedliche Kleidung, eiferten jedoch den Fürstenhöfen in Sachen Mode nach. Neuerungen übernahmen zunächst die Adeligen, dann die Bürger und schließlich die Handwerker und Bauern. Auf diese Weise erreichten die Modeströmungen mit zeitlicher Verzögerung alle Schichten der Bevölkerung. Das Erscheinungsbild der Kleidung hing ab vom wirtschaftlichen Wohlstand der Bevölkerung und vom textilen Handwerk der Gegend. In der Region um Reichenhall wurde aus Flachs Leinen und aus Wolle Loden hergestellt. Außerdem wirkten sich verschiedene Einflüsse von außen und Kleiderordnungen des Landesherrn auf die Entwicklung der orts- oder standesüblichen Tracht aus. So etwa die Bayerische Kleiderordnung Kurfürst Maximilians von 1626. | ||
Die frühesten Darstellungen von Kleidung im Reichenhaller Raum finden sich auf den Mirakeltafeln von 1513 in der Wallfahrtskirche Großgmain: Die Frauen tragen ein bodenlanges, langärmeliges Kleid und ein Gebände (Kopftuch), die Männer Rock oder Wams und eng anliegende Beinlinge. Ab der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts kam die spanische Hoftracht in Mode. Ihre Pluderhosen und Halskrausen dominierten noch zu Anfang des 18. Jahrhunderts die Kleidung der Männer in Reichenhall. | Die frühesten Darstellungen von Kleidung im Reichenhaller Raum finden sich auf den Mirakeltafeln von 1513 in der Wallfahrtskirche Großgmain: Die Frauen tragen ein bodenlanges, langärmeliges Kleid und ein Gebände (Kopftuch), die Männer Rock oder Wams und eng anliegende Beinlinge. | ||
'''Spanische Hoftracht''' | |||
Ab der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts kam die spanische Hoftracht in Mode. Ihre Pluderhosen und Halskrausen dominierten noch zu Anfang des 18. Jahrhunderts die Kleidung der Männer in Reichenhall. (Mirakeltafeln aus Feldkirchen 1615; Votivtafel in St. Pankraz 1708; Lazarusgeschichte, Bilderhandschrift, frühes 18. Jh.) | |||
'''Versailles als Vorbild''' | |||
Seit dem späten 17. Jahrhundert galt die französische Hofmode aus Versailles als Vorbild für Europa. Bei den Männern bestand sie aus dem langen Rock „Justaucorps“, der Weste „Gilet“ und der Kniebundhose „Culotte“. Frauen trugen einen knöchellangen Rock, eine Schnürbrust (Mieder) und eine T-förmig geschnittene Jacke mit kurzen oder langen Ärmeln. Zur Arbeit wurde eine Schürze umgebunden. In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts gelangte diese Mode in vereinfachter Form ins Reichenhaller Tal. In den 1780er Jahren führte Johann Sebastian Clais Reformen an der Reichenhaller Saline durch. Dabei waren auch eigene Uniformen für das Salinenpersonal vorgesehen. Die heutige Salzbruderschaft trägt weiß-blaue Knappenuniformen. | Seit dem späten 17. Jahrhundert galt die französische Hofmode aus Versailles als Vorbild für Europa. Bei den Männern bestand sie aus dem langen Rock „Justaucorps“, der Weste „Gilet“ und der Kniebundhose „Culotte“. Frauen trugen einen knöchellangen Rock, eine Schnürbrust (Mieder) und eine T-förmig geschnittene Jacke mit kurzen oder langen Ärmeln. Zur Arbeit wurde eine Schürze umgebunden. In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts gelangte diese Mode in vereinfachter Form ins Reichenhaller Tal. In den 1780er Jahren führte Johann Sebastian Clais Reformen an der Reichenhaller Saline durch. Dabei waren auch eigene Uniformen für das Salinenpersonal vorgesehen. Die heutige Salzbruderschaft trägt weiß-blaue Knappenuniformen. | ||
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''Zur Jungfrauentracht gehört außer den weißpercalenen Unterröckl (Unterjacke) und der weißen Schürze der Goldbund'' („Böndl“ oder "Tittmoninger Häubchen")'', ein ovales Häubchen, das den Zopf bedeckt, aus reicher Goldstickerei mit einer breiten Goldspitze rings umzogen; unter der Nadel, die den Bund festhält, wird ein Rosmarinkranz durchgeschlungen. Die Braut trägt den Gürtel und zur Trauer schlingt man den Klagschleier um Brust und Rücken, doch bleibt hier das Gesicht frei.“'' | ''Zur Jungfrauentracht gehört außer den weißpercalenen Unterröckl (Unterjacke) und der weißen Schürze der Goldbund'' („Böndl“ oder "Tittmoninger Häubchen")'', ein ovales Häubchen, das den Zopf bedeckt, aus reicher Goldstickerei mit einer breiten Goldspitze rings umzogen; unter der Nadel, die den Bund festhält, wird ein Rosmarinkranz durchgeschlungen. Die Braut trägt den Gürtel und zur Trauer schlingt man den Klagschleier um Brust und Rücken, doch bleibt hier das Gesicht frei.“'' | ||
Mehrere Maßnahmen des Königs zur Förderung der Trachten, wie etwa Prämien für Brautpaare, die sich in Landestracht trauen ließen, brachten nicht den erhofften Erfolg. Weitaus wirksamer war das Auftreten der Wittelsbacher in Tracht bei der Jagd. Ebenso wie die Habsburger haben sie die praktische Kleidung ihrer Jäger übernommen, wodurch sie in den höchsten Kreisen salonfähig wurde. Selbstverständlich hatte man die königlichen Kleidungstücke aufwendiger gestaltet und verziert, was sich wiederum auf die Gestaltung des Gewands der Jäger auswirkte. Das Arbeitsgewand der Holzknechte im Gebirge (vornehmlich Tirols) bestand aus kurzer Lederhose aus Schaf- oder Ziegenleder und Joppe. Die alpenländische Lederhose geht in ihren Ursprüngen auf die „Culotte“ die französische Kniebundhose der Barockzeit zurück, die im 18. Jahrhundert in ganz Mitteleuropa in fast allen Bevölkerungsschichten die übliche Hose darstellte. | Mehrere Maßnahmen des Königs zur Förderung der Trachten, wie etwa Prämien für Brautpaare, die sich in Landestracht trauen ließen, brachten nicht den erhofften Erfolg. Weitaus wirksamer war das Auftreten der Wittelsbacher in Tracht bei der Jagd. Ebenso wie die Habsburger haben sie die praktische Kleidung ihrer Jäger übernommen, wodurch sie in den höchsten Kreisen salonfähig wurde. Selbstverständlich hatte man die königlichen Kleidungstücke aufwendiger gestaltet und verziert, was sich wiederum auf die Gestaltung des Gewands der Jäger auswirkte. Das Arbeitsgewand der Holzknechte im Gebirge (vornehmlich Tirols) bestand aus kurzer Lederhose aus Schaf- oder Ziegenleder und Joppe. Die alpenländische Lederhose geht in ihren Ursprüngen auf die „Culotte“ die französische Kniebundhose der Barockzeit zurück, die im 18. Jahrhundert in ganz Mitteleuropa in fast allen Bevölkerungsschichten die übliche Hose darstellte. | ||
'''Industrialisierung verändert Kleidungsverhalten''' | |||
Durch die fortschreitende | Durch die fortschreitende Industrialisierung setzten sich ab den 1850er Jahren viele weitere neue Stoffe und Schnitte durch und verdrängten damit die Trachtengewänder immer mehr. | ||
[[Datei:Festzug 1842.jpg|mini|Brautzug aus dem Landgericht Reichenhall, Festzug der 35 Brautpaare, 1842]] | [[Datei:Festzug 1842.jpg|mini|Brautzug aus dem Landgericht Reichenhall, Festzug der 35 Brautpaare, 1842]] | ||
Der General-Oberarzt und Sanitätsrat Dr. Carl Emanuel Gabriel von Heinleth (1863-1952) lebte mehrere Jahre in Reichenhall. Über seine Erlebnisse in den 1880er Jahren in der Salinenstadt berichtete er 1934 in einer Zeitung: „''Nur hin und wieder stieß man tief im Gebirge auf einen Jäger oder Holzknecht in der Lederhose.''“ Als Befürworter der Tracht ging er eines Sonntags angetan mit seiner Lederhose zur Messe: „''Ich war tatsächlich dortmals in Reichenhall der Einzige und der Erste, der wieder eine Lederhose trug. Die Mannsleute und Burschen…tuschelten, schauten auf mich hin, und etliche meinten ,Schaugts eahm an!‘ Bald hatte ich auch einen Freund zur Lederhose überredet, und jetzt waren wir schon zwei. Wir besuchten auch allerhand, und die Reichenhallerinnen tanzten mit uns lustigen und luftigen Lederhosernen recht gern, ja auffällig gern. Mancherlei hatten wir damals natürlich auch von den Fremden zu leiden, denn sie hielten uns für die einzig echten Ureinwohner, für Halbwilde, schwere Raufbolde und sagenhafte Wildschützen, und manche Dame hat uns mit der Hand am Mund, das Lorgnon vor den Augen, mit scheuer, ängstlicher Neugier bestaunt, uns und vor allem die gamslederne Haut, die wir als Hose trugen: „Ist das nicht ganz zum Gruseln, eine Haut als Hose, wie die Wilden…“'' Tatsächlich galten sichtbare Knie noch länger als unschicklich. Die Kirche stand der Trachtenbewegung skeptisch oder sogar ablehnend gegenüber, da sie ihr unter anderem wegen der Kleidung und den Tänzen Sittenlosigkeit unterstellte. Die Treffen und Ausflüge von jungen Erwachsenen beiderlei Geschlechts ohne Aufsicht von Geistlichen oder bürgerlichen Honoratioren galten als moralisch bedenklich. | Der General-Oberarzt und Sanitätsrat Dr. Carl Emanuel Gabriel von Heinleth (1863-1952) lebte mehrere Jahre in Reichenhall. Über seine Erlebnisse in den 1880er Jahren in der Salinenstadt berichtete er 1934 in einer Zeitung: „''Nur hin und wieder stieß man tief im Gebirge auf einen Jäger oder Holzknecht in der Lederhose.''“ Als Befürworter der Tracht ging er eines Sonntags angetan mit seiner Lederhose zur Messe: „''Ich war tatsächlich dortmals in Reichenhall der Einzige und der Erste, der wieder eine Lederhose trug. Die Mannsleute und Burschen…tuschelten, schauten auf mich hin, und etliche meinten ,Schaugts eahm an!‘ Bald hatte ich auch einen Freund zur Lederhose überredet, und jetzt waren wir schon zwei. Wir besuchten auch allerhand, und die Reichenhallerinnen tanzten mit uns lustigen und luftigen Lederhosernen recht gern, ja auffällig gern. Mancherlei hatten wir damals natürlich auch von den Fremden zu leiden, denn sie hielten uns für die einzig echten Ureinwohner, für Halbwilde, schwere Raufbolde und sagenhafte Wildschützen, und manche Dame hat uns mit der Hand am Mund, das Lorgnon vor den Augen, mit scheuer, ängstlicher Neugier bestaunt, uns und vor allem die gamslederne Haut, die wir als Hose trugen: „Ist das nicht ganz zum Gruseln, eine Haut als Hose, wie die Wilden…“'' Tatsächlich galten sichtbare Knie noch länger als unschicklich. Die Kirche stand der Trachtenbewegung skeptisch oder sogar ablehnend gegenüber, da sie ihr unter anderem wegen der Kleidung und den Tänzen Sittenlosigkeit unterstellte. Die Treffen und Ausflüge von jungen Erwachsenen beiderlei Geschlechts ohne Aufsicht von Geistlichen oder bürgerlichen Honoratioren galten als moralisch bedenklich. | ||
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'''Trachtenvereine''' | '''Trachtenvereine''' | ||
[[Datei:Gebirgsschützen 1848.JPG|mini|Reichenhaller Gebirgsschützen, 1848]] | [[Datei:Gebirgsschützen 1848.JPG|mini|Reichenhaller Gebirgsschützen, 1848]] | ||
Obwohl sich bereits 1871 in Graz ein Trachtenverein gründete, gilt Oberbayern als Wiege der Trachtenbewegung. In Bayrischzell entstand 1883 mit dem „Verein zur Erhaltung der Volkstrachten im Leitzachtal“ durch den Lehrer Josef Vogl (1848-1886) offenbar ein reiner Männerverein, in dem Frauen zunächst keine Rolle spielten. Ging es doch anfangs vorrangig um die kurze Lederhose. In der Folge gründeten sich im oberbayerischen Alpengebiet zahlreiche Vereine, die eine nach dem Vorbild der von Jägern und Holzknechten getragenen, sowie an ältere Tiroler Kleidungsformen angelehnte Tracht propagierten. Die so genannte „Miesbacher Tracht“ verbreitete sich so in ganz Altbayern und darüber hinaus. Dieses Gewand wurde von der seit 1853 bestehenden Miesbacher Schuhplattlergruppe „Gesellschaft Gemüthlichkeit“ getragen und hatte bereits zur Mitte des 19. Jh. auch im Landgericht Reichenhall in Mode gestanden (siehe | Obwohl sich bereits 1871 in Graz ein Trachtenverein gründete, gilt Oberbayern als Wiege der Trachtenbewegung. In Bayrischzell entstand 1883 mit dem „Verein zur Erhaltung der Volkstrachten im Leitzachtal“ durch den Lehrer Josef Vogl (1848-1886) offenbar ein reiner Männerverein, in dem Frauen zunächst keine Rolle spielten. Ging es doch anfangs vorrangig um die kurze Lederhose. In der Folge gründeten sich im oberbayerischen Alpengebiet zahlreiche Vereine, die eine nach dem Vorbild der von Jägern und Holzknechten getragenen, sowie an ältere Tiroler Kleidungsformen angelehnte Tracht propagierten. Die so genannte „Miesbacher Tracht“ verbreitete sich so in ganz Altbayern und darüber hinaus. Dieses Gewand wurde von der seit 1853 bestehenden Miesbacher Schuhplattlergruppe „Gesellschaft Gemüthlichkeit“ getragen und hatte bereits zur Mitte des 19. Jh. auch im Landgericht Reichenhall in Mode gestanden (siehe Joseph Friedrich Lentner). Als Vereinszweck der Trachtenvereine galt „der Erhalt der Gebirgstracht, der Mundart und der alten Sitten und Gebräuche“. Außerdem führte man den Schuhplattler als Schautanz im bayerischen Alpengebiet ein. Ab 1893 entstanden im Reichenhaller Tal mehrere Vereinigungen, wie „D`Hohenstauffener“, „D´Schlegler“, die „Kirchhölzler“ und die „Almrausch-Gmoa“, die sich später in „Edelweisser“ umbenannte. Beim ersten Trachtenumzug zum Oktoberfest 1895 nahm auch eine Abordnung aus Reichenhall teil. Am 18. Juni 1900 gründete sich der „GTEV Lustige Saalachthaler“. Die Marzoller Trachtler gründeten den Verein D´Grenzler 1901, in Karlstein entstanden 1907 D´Kranzlstoana und in Bayerisch Gmain D`Lattenberger 1908. | ||
'''Tracht und Tourismus''' | '''Tracht und Tourismus''' | ||
Die 1839 erfundene Fotografie verbreitete sich ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in den Fremdenverkehrsorten der Bayerischen Alpen. In Reichenhall bot der Fotograf Matthias Welker seit 1858 während der Sommersaison seine Dienste an. Ab Mitte der 1860er Jahre entstanden dann mehrere Ateliers, die sich in der Kurstadt etablierten, wie Franz Greiner, Johann Scherle, Hans Kurz, Julie Madlseder, Heinrich Fritz, Peter Schmid und das Atelier Gaus. Die überwiegende Mehrheit der ReichenhallerInnen ließ sich nicht in Tracht, sondern in damals üblicher bürgerlicher Kleidung fotografieren, Herren auch öfter in Uniform. Neben Einheimischen ließen sich viele Sommerfrischler in den Ateliers vor einer Gebirgskulisse in Tracht ablichten, welche sie vom Fotografen für die Aufnahme ausleihen konnten. Die Urlaubsgäste erwarteten bei ihrem Aufenthalt das „Echte“ zu erleben und damit Alpenbewohner in Tracht. Diese kamen den Erwartungen vor allem aus wirtschaftlichen Gründen nach. Viele Gäste besorgten sich für Ihren Urlaub in den Bergen bereits zuhause – etwa beim Berliner Kaufhaus Wertheim - die passende Garderobe. Führend bei der Ausstattung mit alpenländischer Kleidung war die 1900 gegründete Firma Wallach in München. Dort konnte man auch das um 1870 entstandene Dirndlgwand, heute meist Dirndl genannt, erwerben. Es entwickelte sich aus der bäuerlichen Unterkleidung, die von der Dirn (Magd) und jungen Mädchen als leichtes Arbeitsgewand getragen wurde. Durch das Singspiel „Im weißen Rößl“ (1930) wurde es international bekannt und schließlich als typisch für den österreichischen und bayerischen Alpenraum angesehen. | Die 1839 erfundene Fotografie verbreitete sich ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in den Fremdenverkehrsorten der Bayerischen Alpen. In Reichenhall bot der Fotograf Matthias Welker seit 1858 während der Sommersaison seine Dienste an. Ab Mitte der 1860er Jahre entstanden dann mehrere Ateliers, die sich in der Kurstadt etablierten, wie Franz Greiner, Johann Scherle, Hans Kurz, Julie Madlseder, Heinrich Fritz, Peter Schmid und das Atelier Gaus. Die überwiegende Mehrheit der ReichenhallerInnen ließ sich nicht in Tracht, sondern in damals üblicher bürgerlicher Kleidung fotografieren, Herren auch öfter in Uniform. Neben Einheimischen ließen sich viele Sommerfrischler in den Ateliers vor einer Gebirgskulisse in Tracht ablichten, welche sie vom Fotografen für die Aufnahme ausleihen konnten. Die Urlaubsgäste erwarteten bei ihrem Aufenthalt das „Echte“ zu erleben und damit Alpenbewohner in Tracht. Diese kamen den Erwartungen vor allem aus wirtschaftlichen Gründen nach. Viele Gäste besorgten sich für Ihren Urlaub in den Bergen bereits zuhause – etwa beim Berliner Kaufhaus Wertheim - die passende Garderobe. Führend bei der Ausstattung mit alpenländischer Kleidung war die 1900 gegründete Firma Wallach in München. Dort konnte man auch das um 1870 entstandene Dirndlgwand, heute meist Dirndl genannt, erwerben. Es entwickelte sich aus der bäuerlichen Unterkleidung, die von der Dirn (Magd) und Dirndl (jungen Mädchen) als leichtes Arbeitsgewand getragen wurde. Durch das Singspiel „Im weißen Rößl“ (1930) wurde es international bekannt und schließlich als typisch für den österreichischen und bayerischen Alpenraum angesehen. | ||
Eine durch Tourneen in ganz Deutschland bekannte Institution war das Reichenhaller Bauerntheater unter der Leitung von Josef Meth, das die Vorstellungen der Theaterbesucher vom Leben im „Gebirg“ nachhaltig prägte. In den Touristenorten traten regelmäßig Trachtenvereine sowie Volkstanz- und Sängergruppen auf. In der Kurstadt vermarktete Jakob Damhofers Sänger-, Jodler und Tänzer-Ensemble „D`Reichenhaller“ folkloristische Veranstaltungen mit Erfolg. Mitglieder des Gebirgstrachten-Erhaltungsvereins Taubenberger aus Holzkirchen führten den von ihnen ersonnenen „Watschenplattler“ zum ersten Mal öffentlich 1907 in Bad Reichenhall zur Unterhaltung der Sommerfrischler auf. | Eine durch Tourneen in ganz Deutschland bekannte Institution war das Reichenhaller Bauerntheater unter der Leitung von Josef Meth, das die Vorstellungen der Theaterbesucher vom Leben im „Gebirg“ nachhaltig prägte. In den Touristenorten traten regelmäßig Trachtenvereine sowie Volkstanz- und Sängergruppen auf. In der Kurstadt vermarktete Jakob Damhofers Sänger-, Jodler und Tänzer-Ensemble „D`Reichenhaller“ folkloristische Veranstaltungen mit Erfolg. Mitglieder des Gebirgstrachten-Erhaltungsvereins Taubenberger aus Holzkirchen führten den von ihnen ersonnenen „Watschenplattler“ zum ersten Mal öffentlich 1907 in Bad Reichenhall zur Unterhaltung der Sommerfrischler auf. | ||
[[Datei:Gebirgsschützen-Oberleutnant Forstwart Anton Kefer und Gattin Anna, 1848 (ReichenhallMuseum).jpg|mini|Gebirgsschützen-Oberleutnant Anton Kefer und Gattin Anna (mit Perlhaube), 1848]] | [[Datei:Gebirgsschützen-Oberleutnant Forstwart Anton Kefer und Gattin Anna, 1848 (ReichenhallMuseum).jpg|mini|Gebirgsschützen-Oberleutnant Anton Kefer und Gattin Anna (mit Perlhaube), 1848]] | ||
Perfektioniert wurde die alpenländische Unterhaltung in der Kurstadt durch den gelernten Kaminkehrer Hans Linder, der im August 1918 das Ausflugslokal „Schroffen-Alm“ erwarb und zur „Alpengaststätte Schroffen“ ausbaute. Linder schaffe es, dem Etablissement durch die Inszenierung von bayerischen Klischees Kultstatus zu verleihen. Der Geschäftsmann ließ im Saal der „Perle von Bad Reichenhall“ ein 30-köpfiges Musikensemble, die „Schroffengarde“ auftreten, organisierte Almtänze und Haberfeldtreiben zu Demonstrationszwecken. Neben dem Schroffen betrieb Linder noch das Berliner Wilhelmtheater, wo die Schroffengarde im Winter auftrat und die „Münchner Bierhalle“ in Köln. Dort wurden Gäste für den Sommeraufenthalt in Bad Reichenhall angeworben. Als 1931 eine auch für Busse befahrbare Straße auf den Schroffen angelegt worden war, stiegen die Gästezahlen weiter an. Linder war gewissermaßen zum „König der volkstümlichen Musik“ aufgestiegen, denn eine Karriere in diesem Metier führte fast zwangsläufig über den Schroffen. Die Vorstandschaft des Reichenhaller Trachtenvereins Saalachthaler lehnte wohl Auftritte auf dem Schroffen ab, da sie die dort gebotenen Veranstaltungen als nicht authentisch erachtete. Am 22. Juli 1922 spalteten sich mehrere Mitglieder, die anderer Meinung waren, vom Verein ab und gründeten auf dem Schroffen einen neuen Trachtenverein mit dem Namen „Alt Reichenhall“. | Perfektioniert wurde die alpenländische Unterhaltung in der Kurstadt durch den gelernten Kaminkehrer Hans Linder, der im August 1918 das Ausflugslokal „Schroffen-Alm“ erwarb und zur „Alpengaststätte Schroffen“ ausbaute. Linder schaffe es, dem Etablissement durch die Inszenierung von bayerischen Klischees Kultstatus zu verleihen. Der Geschäftsmann ließ im Saal der „Perle von Bad Reichenhall“ ein 30-köpfiges Musikensemble, die „Schroffengarde“ auftreten, organisierte Almtänze und Haberfeldtreiben zu Demonstrationszwecken. Neben dem Schroffen betrieb Linder noch das Berliner Wilhelmtheater, wo die Schroffengarde im Winter auftrat und die „Münchner Bierhalle“ in Köln. Dort wurden Gäste für den Sommeraufenthalt in Bad Reichenhall angeworben. Als 1931 eine auch für Busse befahrbare Straße auf den Schroffen angelegt worden war, stiegen die Gästezahlen weiter an. Linder war gewissermaßen zum „König der volkstümlichen Musik“ aufgestiegen, denn eine Karriere in diesem Metier führte fast zwangsläufig über den Schroffen. Die Vorstandschaft des Reichenhaller Trachtenvereins Saalachthaler lehnte wohl Auftritte auf dem Schroffen ab, da sie die dort gebotenen Veranstaltungen als nicht authentisch erachtete. Am 22. Juli 1922 spalteten sich mehrere Mitglieder, die anderer Meinung waren, vom Verein ab und gründeten zusammen mit ehemaligen Mitgliedern von eingegangenen Trachtenvereinen auf dem Schroffen einen neuen Trachtenverein mit dem Namen „Alt Reichenhall“. | ||