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(Die Seite wurde neu angelegt: „Das Wort „Tracht“ bezeichnet ursprünglich das Getragene, die getragene Kleidung. Heute versteht man darunter das meist ländliche Fest- (und Alltags-)gewand, welchem man – im Gegensatz zur städtischen modischen Kleidung - eine lange Tradition unterstellt. Vor dem 17. Jahrhundert unterschied sich das Gewand regional kaum. Zwischen Stadt- und Landbewohnern bestanden Unterschiede in Material, Farben und Verzierung, weniger im Schnitt. Die jeweiligen…“) |
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[[Datei:Mirakeltafel 1513.jpg|mini|Mirakeltafel Marienkirche Großgmain, 1513]] | |||
Das Wort „Tracht“ bezeichnet ursprünglich das Getragene, die getragene Kleidung. Heute versteht man darunter das meist ländliche Fest- (und Alltags-)gewand, welchem man – im Gegensatz zur städtischen modischen Kleidung - eine lange Tradition unterstellt. | Das Wort „Tracht“ bezeichnet ursprünglich das Getragene, die getragene Kleidung. Heute versteht man darunter das meist ländliche Fest- (und Alltags-)gewand, welchem man – im Gegensatz zur städtischen modischen Kleidung - eine lange Tradition unterstellt. | ||
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Die frühesten Darstellungen von Kleidung im Reichenhaller Raum finden sich auf den Mirakeltafeln von 1513 in der Wallfahrtskirche Großgmain: Die Frauen tragen ein bodenlanges, langärmeliges Kleid und ein Gebände (Kopftuch), die Männer Rock oder Wams und eng anliegende Beinlinge. Ab der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts kam die spanische Hoftracht in Mode. Ihre Pluderhosen und Halskrausen dominierten noch zu Anfang des 18. Jahrhunderts die Kleidung der Männer in Reichenhall. Seit dem späten 17. Jahrhundert galt die französische Hofmode aus Versailles als Vorbild für Europa. Bei den Männern bestand sie aus dem langen Rock „Justaucorps“, der Weste „Gilet“ und der Kniebundhose „Culotte“. Frauen trugen einen knöchellangen Rock, eine Schnürbrust (Mieder) und eine T-förmig geschnittene Jacke mit kurzen oder langen Ärmeln. Zur Arbeit wurde eine Schürze umgebunden. In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts gelangte diese Mode in vereinfachter Form ins Reichenhaller Tal. In den 1780er Jahren führte Johann Sebastian Clais Reformen an der Reichenhaller Saline durch. Dabei waren auch eigene Uniformen für das Salinenpersonal vorgesehen. Die heutige Salzbruderschaft trägt weiß-blaue Knappenuniformen. | Die frühesten Darstellungen von Kleidung im Reichenhaller Raum finden sich auf den Mirakeltafeln von 1513 in der Wallfahrtskirche Großgmain: Die Frauen tragen ein bodenlanges, langärmeliges Kleid und ein Gebände (Kopftuch), die Männer Rock oder Wams und eng anliegende Beinlinge. Ab der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts kam die spanische Hoftracht in Mode. Ihre Pluderhosen und Halskrausen dominierten noch zu Anfang des 18. Jahrhunderts die Kleidung der Männer in Reichenhall. Seit dem späten 17. Jahrhundert galt die französische Hofmode aus Versailles als Vorbild für Europa. Bei den Männern bestand sie aus dem langen Rock „Justaucorps“, der Weste „Gilet“ und der Kniebundhose „Culotte“. Frauen trugen einen knöchellangen Rock, eine Schnürbrust (Mieder) und eine T-förmig geschnittene Jacke mit kurzen oder langen Ärmeln. Zur Arbeit wurde eine Schürze umgebunden. In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts gelangte diese Mode in vereinfachter Form ins Reichenhaller Tal. In den 1780er Jahren führte Johann Sebastian Clais Reformen an der Reichenhaller Saline durch. Dabei waren auch eigene Uniformen für das Salinenpersonal vorgesehen. Die heutige Salzbruderschaft trägt weiß-blaue Knappenuniformen. | ||
[[Datei:Mirakeltafel 1615.jpg|mini|Mirakeltafel Wallfahrtskirche Feldkirchen (Ainring), 1615]] | |||
Der Niedergang der landschaftsgebundenen und standesgemäßen Kleidung begann an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert und vollzog sich in wenigen Jahrzehnten. Durch die Ideen der Aufklärung gerieten die Vorschriften ins Wanken, welche seit Jahrhunderten die Kleidung der verschiedenen Stände geregelt hatten. Und in den Jahren nach der Französischen Revolution verloren sie rasch an Bedeutung. Die Bevölkerung auf dem Land begann, sich an internationaler Mode zu orientieren. Außerdem waren die industriell hergestellten Stoffe (z.B. Baumwolle) günstig zu kaufen und die Schnitte der „städtischen“ Mode bequemer zu tragen als die nun als altmodisch geltende herkömmliche Kleidung. | Der Niedergang der landschaftsgebundenen und standesgemäßen Kleidung begann an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert und vollzog sich in wenigen Jahrzehnten. Durch die Ideen der Aufklärung gerieten die Vorschriften ins Wanken, welche seit Jahrhunderten die Kleidung der verschiedenen Stände geregelt hatten. Und in den Jahren nach der Französischen Revolution verloren sie rasch an Bedeutung. Die Bevölkerung auf dem Land begann, sich an internationaler Mode zu orientieren. Außerdem waren die industriell hergestellten Stoffe (z.B. Baumwolle) günstig zu kaufen und die Schnitte der „städtischen“ Mode bequemer zu tragen als die nun als altmodisch geltende herkömmliche Kleidung. | ||
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Um eine Wiederbelebung der alten Trachten in den verschiedenen Gegenden des Königreichs bemühte sich bereits König Ludwig I. von Bayern. Er erkannte in der Pflege der Tracht und der Bräuche ein Mittel zur Stärkung des bayerischen Nationalgefühls, besonders für die neu hinzugekommenen Gebiete in Franken und Schwaben. Dabei sollten diese Gebiete nicht angeglichen, sondern ihre eigene Kultur bewahrt und gefördert werden. Bei der Silbernen Hochzeit Ludwigs I. und seiner Gemahlin Königin Therese 1835 waren einzelne bayerische Landgerichte mit Trachtengruppen vertreten, die in einem langen Festzug am Königszelt auf der Theresienwiese vorbeizogen. Zur Vermählung des Kronprinzen Maximilian, des späteren Königs Maximilian II., mit Prinzessin Marie von Preußen im Jahre 1842 wurden 35 Brautpaare aus ganz Bayern eingeladen. Diese mussten in ihrer heimischen Tracht erscheinen und durften alle in ihrer Heimat üblichen Begleitpersonen, wie Hochzeitslader oder Kranzljungfrauen, mitbringen. Derartige Veranstaltungen sollten die tiefe Verbundenheit der Bevölkerung mit dem Königshaus demonstrieren. Das Landgericht Reichenhall war dabei mit einem Brautzug und Gebirgsschützen vertreten. Da jedoch nicht genügend Kleidungsstücke für den Brautzug aufzutreiben waren, mussten verschiedene Einzelteile nachgeschneidert werden. | Um eine Wiederbelebung der alten Trachten in den verschiedenen Gegenden des Königreichs bemühte sich bereits König Ludwig I. von Bayern. Er erkannte in der Pflege der Tracht und der Bräuche ein Mittel zur Stärkung des bayerischen Nationalgefühls, besonders für die neu hinzugekommenen Gebiete in Franken und Schwaben. Dabei sollten diese Gebiete nicht angeglichen, sondern ihre eigene Kultur bewahrt und gefördert werden. Bei der Silbernen Hochzeit Ludwigs I. und seiner Gemahlin Königin Therese 1835 waren einzelne bayerische Landgerichte mit Trachtengruppen vertreten, die in einem langen Festzug am Königszelt auf der Theresienwiese vorbeizogen. Zur Vermählung des Kronprinzen Maximilian, des späteren Königs Maximilian II., mit Prinzessin Marie von Preußen im Jahre 1842 wurden 35 Brautpaare aus ganz Bayern eingeladen. Diese mussten in ihrer heimischen Tracht erscheinen und durften alle in ihrer Heimat üblichen Begleitpersonen, wie Hochzeitslader oder Kranzljungfrauen, mitbringen. Derartige Veranstaltungen sollten die tiefe Verbundenheit der Bevölkerung mit dem Königshaus demonstrieren. Das Landgericht Reichenhall war dabei mit einem Brautzug und Gebirgsschützen vertreten. Da jedoch nicht genügend Kleidungsstücke für den Brautzug aufzutreiben waren, mussten verschiedene Einzelteile nachgeschneidert werden. | ||
[[Datei:Votivtafel St. Pankraz, Karlstein, 1708 (Foto Andreas Hirsch).jpg|mini|Votivtafel in St. Pankraz, Karlstein, 1708]] | |||
König Maximilian ließ 1852 durch die Regierungen in den Landgerichten ermitteln, ''„in welchen Gegenden… sich noch die alte Tracht der Bürger- und Landleute erhalten hat und auf welche Weise… getreue Abbildungen erhalten werden könnten.“'' Der Regierungspräsident antwortete: ''„Die Volkstrachten werden hauptsächlich durch die Richtung der Produktion und der Industrie des Landes bestimmt und unterliegen – gleich den Anzügen der höheren Stände – allmählich der Neuerung, die sich auf Wohlfeilheit'' (kostengünstig) ''und Zweckmäßigkeit gründen. Diesen Einwirkungen gegenüber wird es immer eine schwierige Aufgabe bleiben, alle alther gekommenen Volkstrachten fortan zu erhalten, abgesehen davon, daß einige derselben namentlich bei dem weiblichen Geschlechte, auf die körperliche Entwicklung nachteilig einwirken oder die finanziellen Kräfte der Gegenwart übersteigen.“'' Als Ergebnis der Erhebung für das Landgericht Reichenhall konnte er mitteilen: ''„Außer den Gebirgsschützen hat sich in diesem Bezirk eine eigentümliche Tracht nicht erhalten.“'' Die Kleidung dieser Zeit, die wir heute als Tracht bezeichnen würden, entsprach nicht den damaligen Vorstellungen von einer über einen langen Zeitraum tradierten, ehrwürdigen „Nationaltracht“ oder „Volkstracht“. | König Maximilian ließ 1852 durch die Regierungen in den Landgerichten ermitteln, ''„in welchen Gegenden… sich noch die alte Tracht der Bürger- und Landleute erhalten hat und auf welche Weise… getreue Abbildungen erhalten werden könnten.“'' Der Regierungspräsident antwortete: ''„Die Volkstrachten werden hauptsächlich durch die Richtung der Produktion und der Industrie des Landes bestimmt und unterliegen – gleich den Anzügen der höheren Stände – allmählich der Neuerung, die sich auf Wohlfeilheit'' (kostengünstig) ''und Zweckmäßigkeit gründen. Diesen Einwirkungen gegenüber wird es immer eine schwierige Aufgabe bleiben, alle alther gekommenen Volkstrachten fortan zu erhalten, abgesehen davon, daß einige derselben namentlich bei dem weiblichen Geschlechte, auf die körperliche Entwicklung nachteilig einwirken oder die finanziellen Kräfte der Gegenwart übersteigen.“'' Als Ergebnis der Erhebung für das Landgericht Reichenhall konnte er mitteilen: ''„Außer den Gebirgsschützen hat sich in diesem Bezirk eine eigentümliche Tracht nicht erhalten.“'' Die Kleidung dieser Zeit, die wir heute als Tracht bezeichnen würden, entsprach nicht den damaligen Vorstellungen von einer über einen langen Zeitraum tradierten, ehrwürdigen „Nationaltracht“ oder „Volkstracht“. | ||
Der Schriftsteller und Ethnograph Joseph Friedrich Lentner erstellte im Auftrag des Kronprinzen bzw. Königs zwischen 1846 und 1851 eine ethnographische Bestandsaufnahme des Landes. Dabei stellte er fest, dass die Trachten im Laufe der Zeit Veränderungen durchliefen und sich auch im Landgericht Reichenhall etwa alle 30 Jahre - spätestens mit jeder nachfolgenden Generation - Neuerungen durchgesetzt hatten. Um 1800 herrschten demnach noch Leinen- und Lodenstoffe vor. Zwanzig Jahre später war Barchent (Mischgewebe aus Leinen und Baumwolle) üblich geworden und um 1850 trugen die Frauen Kordon (Cord), Seide und verschiedene Baumwollstoffe. Bei den Männern war um 1800 die lederne Bundhose verbreitet, welche nach 1820 allmählich von der kurzen Lederhose abgelöst wurde: | Der Schriftsteller und Ethnograph Joseph Friedrich Lentner erstellte im Auftrag des Kronprinzen bzw. Königs zwischen 1846 und 1851 eine ethnographische Bestandsaufnahme des Landes. Dabei stellte er fest, dass die Trachten im Laufe der Zeit Veränderungen durchliefen und sich auch im Landgericht Reichenhall etwa alle 30 Jahre - spätestens mit jeder nachfolgenden Generation - Neuerungen durchgesetzt hatten. Um 1800 herrschten demnach noch Leinen- und Lodenstoffe vor. Zwanzig Jahre später war Barchent (Mischgewebe aus Leinen und Baumwolle) üblich geworden und um 1850 trugen die Frauen Kordon (Cord), Seide und verschiedene Baumwollstoffe. Bei den Männern war um 1800 die lederne Bundhose verbreitet, welche nach 1820 allmählich von der kurzen Lederhose abgelöst wurde: | ||
[[Datei:St. Pankraz, 1746.jpg|mini|Votivtafel in St. Pankraz, Karlstein, 1746]] | |||
''„Vor 50 Jahren'' (um 1800) ''trug der Bauer des Sonntags einen weißen Leinenkittel ohne Kragen mit weißen Metallknöpfen, keine Weste, sondern einen grünen Hosenträger, den 6 Zoll breiten Gurt'' (Ranzen) ''mit Zinnstiften beschlagen, einen Flor'' (Tuch) ''4-5 mal um den Hals, lederne Hosen, weiße Strümpfe und Riemenschuhe. Des Winters war der Rock von grauem Loden, und dazu kam eine rothe Weste. Reiche Bauern hatten an den Festtagen Röcke von Scharlach, mit Silberknöpfen, ein grünes oder rothes Leibl neben den Spiegelknöpfen mit Borten besetzt. Im Wirtshause erschienen die Männer meist mit rothen oder grünen Jacken und trugen dazu Schlegelhauben von grünen oder geschlagenem Sammt von der Form, wie sie heute noch bei alten Wirthen üblich sind, jedoch nur die Hälfte niederer. Der Hut war groß und nieder von einer seidenen Borte mit Quasten umschlungen, die sich durch eine Filigranschnalle zog. Die Buben trugen diese meist grün. Als Mantel brauchte man den weißwollenen Ueberwurf, hier Wagnerkittel genannt.'' | ''„Vor 50 Jahren'' (um 1800) ''trug der Bauer des Sonntags einen weißen Leinenkittel ohne Kragen mit weißen Metallknöpfen, keine Weste, sondern einen grünen Hosenträger, den 6 Zoll breiten Gurt'' (Ranzen) ''mit Zinnstiften beschlagen, einen Flor'' (Tuch) ''4-5 mal um den Hals, lederne Hosen, weiße Strümpfe und Riemenschuhe. Des Winters war der Rock von grauem Loden, und dazu kam eine rothe Weste. Reiche Bauern hatten an den Festtagen Röcke von Scharlach, mit Silberknöpfen, ein grünes oder rothes Leibl neben den Spiegelknöpfen mit Borten besetzt. Im Wirtshause erschienen die Männer meist mit rothen oder grünen Jacken und trugen dazu Schlegelhauben von grünen oder geschlagenem Sammt von der Form, wie sie heute noch bei alten Wirthen üblich sind, jedoch nur die Hälfte niederer. Der Hut war groß und nieder von einer seidenen Borte mit Quasten umschlungen, die sich durch eine Filigranschnalle zog. Die Buben trugen diese meist grün. Als Mantel brauchte man den weißwollenen Ueberwurf, hier Wagnerkittel genannt.'' | ||
''Vor 30 Jahren'' (um 1820) ''ward aus dem zwilchenen ein brauner Tuchrock mit stehendem Kragen und kurzer Taille und langen Flügeln; des Sommers aus braunem oder schwarzen Barchent'' (Leinen-Baumwoll-Mischgewebe) ''gefertigt roth oder grün gefüttert mit 2 Reihen eng aneinandergesetzter Metallknöpfe. Der Alltagskittel blieb von Loden, die Westen wurden ganz kurz, hatten 2 Reihen Geldknöpfe und einen stehenden Kragen. Die Lederhosen reichten hoch herauf, der Gurt wurde schmäler und mit Pfaufedern gestickt, der Hut verkleinerte sich. Die Buben trugen meist sehr kurze Jacken, vielfach grün mit blauem Futter.'' | ''Vor 30 Jahren'' (um 1820) ''ward aus dem zwilchenen ein brauner Tuchrock mit stehendem Kragen und kurzer Taille und langen Flügeln; des Sommers aus braunem oder schwarzen Barchent'' (Leinen-Baumwoll-Mischgewebe) ''gefertigt roth oder grün gefüttert mit 2 Reihen eng aneinandergesetzter Metallknöpfe. Der Alltagskittel blieb von Loden, die Westen wurden ganz kurz, hatten 2 Reihen Geldknöpfe und einen stehenden Kragen. Die Lederhosen reichten hoch herauf, der Gurt wurde schmäler und mit Pfaufedern gestickt, der Hut verkleinerte sich. Die Buben trugen meist sehr kurze Jacken, vielfach grün mit blauem Futter.'' | ||
''Heutzutage'' (um 1850) ''besteht die Festtracht in dem gewöhnlichen braunen oder grünen Tuchrock, in einem seidenen Gilet, kurzen Lederhosen, Strümpfen und Schuhen. Des Sonntags ist der Rock von schwarzem Barchent'' (Leinen-Baumwoll-Mischgewebe)''; der schwere Wintermantel von dunkelblauem oder grauem groben Tuch; der Hut besteht in einem Cylinder von 10 Zoll Höhe mit einer 6 Zoll breiten Krempe und ist mit einer Goldschnur verziert. Im Winter sieht man viele Pelzhauben. Unter den Buben ist der Spenser geläufig, hie und da auch die lange Tuchhose; sonst trägt alles, besonders beim Tanze kurze Lederhosen. Der Hut der Männer ist bei ihnen dunkelgrün gefärbt, viele aber lieben jetzt die Miesbachertracht, tragen dazu eine rothe Weste und häufig grüne Strümpfe.'' | ''Heutzutage'' (um 1850) ''besteht die Festtracht in dem gewöhnlichen braunen oder grünen Tuchrock, in einem seidenen Gilet, kurzen Lederhosen, Strümpfen und Schuhen. Des Sonntags ist der Rock von schwarzem Barchent'' (Leinen-Baumwoll-Mischgewebe)''; der schwere Wintermantel von dunkelblauem oder grauem groben Tuch; der Hut besteht in einem Cylinder von 10 Zoll Höhe mit einer 6 Zoll breiten Krempe und ist mit einer Goldschnur verziert. Im Winter sieht man viele Pelzhauben. Unter den Buben ist der Spenser geläufig, hie und da auch die lange Tuchhose; sonst trägt alles, besonders beim Tanze kurze Lederhosen. Der Hut der Männer ist bei ihnen dunkelgrün gefärbt, viele aber lieben jetzt die Miesbachertracht, tragen dazu eine rothe Weste und häufig grüne Strümpfe.'' | ||
[[Datei:Placidus-Altar, ehem Stiftskirche Höglwörth, Ende 18. Jh. (Foto Andreas Hirsch).jpg|mini|Placidus-Altar, ehem. Stiftskirche Höglwörth, Ende 18. Jh.]] | |||
''Die ältere Frauentracht vor 30-40 Jahren'' (um 1820) ''bestund in einer schwarzen Wollhaube, an Festtagen von schwarz und scharlachgestreiftem Mazelin bis an die halbe Wade reichend und ließ so die weißen Strümpfe und den Schnallenschuh sehen. Das spitze Mieder mit dem Latz war von rothem Tuch mit Goldborten und Silberhaken besetzt und blausedenem Riemen verschnürt.'' | ''Die ältere Frauentracht vor 30-40 Jahren'' (um 1820) ''bestund in einer schwarzen Wollhaube, an Festtagen von schwarz und scharlachgestreiftem Mazelin bis an die halbe Wade reichend und ließ so die weißen Strümpfe und den Schnallenschuh sehen. Das spitze Mieder mit dem Latz war von rothem Tuch mit Goldborten und Silberhaken besetzt und blausedenem Riemen verschnürt.'' | ||
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Mehrere Maßnahmen des Königs zur Förderung der Trachten, wie etwa Prämien für Brautpaare, die sich in Landestracht trauen ließen, brachten nicht den erhofften Erfolg. Weitaus wirksamer war das Auftreten der Wittelsbacher in Tracht bei der Jagd. Ebenso wie die Habsburger haben sie die praktische Kleidung ihrer Jäger übernommen, wodurch sie in den höchsten Kreisen salonfähig wurde. Selbstverständlich hatte man die königlichen Kleidungstücke aufwendiger gestaltet und verziert, was sich wiederum auf die Gestaltung des Gewands der Jäger auswirkte. Das Arbeitsgewand der Holzknechte im Gebirge (vornehmlich Tirols) bestand aus kurzer Lederhose aus Schaf- oder Ziegenleder und Joppe. Die alpenländische Lederhose geht in ihren Ursprüngen auf die „Culotte“ die französische Kniebundhose der Barockzeit zurück, die im 18. Jahrhundert in ganz Mitteleuropa in fast allen Bevölkerungsschichten die übliche Hose darstellte. | Mehrere Maßnahmen des Königs zur Förderung der Trachten, wie etwa Prämien für Brautpaare, die sich in Landestracht trauen ließen, brachten nicht den erhofften Erfolg. Weitaus wirksamer war das Auftreten der Wittelsbacher in Tracht bei der Jagd. Ebenso wie die Habsburger haben sie die praktische Kleidung ihrer Jäger übernommen, wodurch sie in den höchsten Kreisen salonfähig wurde. Selbstverständlich hatte man die königlichen Kleidungstücke aufwendiger gestaltet und verziert, was sich wiederum auf die Gestaltung des Gewands der Jäger auswirkte. Das Arbeitsgewand der Holzknechte im Gebirge (vornehmlich Tirols) bestand aus kurzer Lederhose aus Schaf- oder Ziegenleder und Joppe. Die alpenländische Lederhose geht in ihren Ursprüngen auf die „Culotte“ die französische Kniebundhose der Barockzeit zurück, die im 18. Jahrhundert in ganz Mitteleuropa in fast allen Bevölkerungsschichten die übliche Hose darstellte. | ||
[[Datei:Festzug 1842.jpg|mini|Brautzug aus dem Landgericht Reichenhall, Festzug der 35 Brautpaare, 1842]] | |||
Der General-Oberarzt und Sanitätsrat Dr. Carl Emanuel Gabriel von Heinleth (1863-1952) lebte mehrere Jahre in Reichenhall. Über seine Erlebnisse in den 1880er Jahren in der Salinenstadt berichtete er 1934 in einer Zeitung: „''Nur hin und wieder stieß man tief im Gebirge auf einen Jäger oder Holzknecht in der Lederhose.''“ Als Befürworter der Tracht ging er eines Sonntags angetan mit seiner Lederhose zur Messe: „''Ich war tatsächlich dortmals in Reichenhall der Einzige und der Erste, der wieder eine Lederhose trug. Die Mannsleute und Burschen…tuschelten, schauten auf mich hin, und etliche meinten ,Schaugts eahm an!‘ Bald hatte ich auch einen Freund zur Lederhose überredet, und jetzt waren wir schon zwei. Wir besuchten auch allerhand, und die Reichenhallerinnen tanzten mit uns lustigen und luftigen Lederhosernen recht gern, ja auffällig gern. Mancherlei hatten wir damals natürlich auch von den Fremden zu leiden, denn sie hielten uns für die einzig echten Ureinwohner, für Halbwilde, schwere Raufbolde und sagenhafte Wildschützen, und manche Dame hat uns mit der Hand am Mund, das Lorgnon vor den Augen, mit scheuer, ängstlicher Neugier bestaunt, uns und vor allem die gamslederne Haut, die wir als Hose trugen: „Ist das nicht ganz zum Gruseln, eine Haut als Hose, wie die Wilden…“'' Tatsächlich galten sichtbare Knie noch länger als unschicklich. Die Kirche stand der Trachtenbewegung skeptisch oder sogar ablehnend gegenüber, da sie ihr unter anderem wegen der Kleidung und den Tänzen Sittenlosigkeit unterstellte. Die Treffen und Ausflüge von jungen Erwachsenen beiderlei Geschlechts ohne Aufsicht von Geistlichen oder bürgerlichen Honoratioren galten als moralisch bedenklich. | Der General-Oberarzt und Sanitätsrat Dr. Carl Emanuel Gabriel von Heinleth (1863-1952) lebte mehrere Jahre in Reichenhall. Über seine Erlebnisse in den 1880er Jahren in der Salinenstadt berichtete er 1934 in einer Zeitung: „''Nur hin und wieder stieß man tief im Gebirge auf einen Jäger oder Holzknecht in der Lederhose.''“ Als Befürworter der Tracht ging er eines Sonntags angetan mit seiner Lederhose zur Messe: „''Ich war tatsächlich dortmals in Reichenhall der Einzige und der Erste, der wieder eine Lederhose trug. Die Mannsleute und Burschen…tuschelten, schauten auf mich hin, und etliche meinten ,Schaugts eahm an!‘ Bald hatte ich auch einen Freund zur Lederhose überredet, und jetzt waren wir schon zwei. Wir besuchten auch allerhand, und die Reichenhallerinnen tanzten mit uns lustigen und luftigen Lederhosernen recht gern, ja auffällig gern. Mancherlei hatten wir damals natürlich auch von den Fremden zu leiden, denn sie hielten uns für die einzig echten Ureinwohner, für Halbwilde, schwere Raufbolde und sagenhafte Wildschützen, und manche Dame hat uns mit der Hand am Mund, das Lorgnon vor den Augen, mit scheuer, ängstlicher Neugier bestaunt, uns und vor allem die gamslederne Haut, die wir als Hose trugen: „Ist das nicht ganz zum Gruseln, eine Haut als Hose, wie die Wilden…“'' Tatsächlich galten sichtbare Knie noch länger als unschicklich. Die Kirche stand der Trachtenbewegung skeptisch oder sogar ablehnend gegenüber, da sie ihr unter anderem wegen der Kleidung und den Tänzen Sittenlosigkeit unterstellte. Die Treffen und Ausflüge von jungen Erwachsenen beiderlei Geschlechts ohne Aufsicht von Geistlichen oder bürgerlichen Honoratioren galten als moralisch bedenklich. | ||
'''Trachtenvereine''' | '''Trachtenvereine''' | ||
[[Datei:Gebirgsschützen 1848.JPG|mini|Reichenhaller Gebirgsschützen, 1848]] | |||
Obwohl sich bereits 1871 in Graz ein Trachtenverein gründete, gilt Oberbayern als Wiege der Trachtenbewegung. In Bayrischzell entstand 1883 mit dem „Verein zur Erhaltung der Volkstrachten im Leitzachtal“ durch den Lehrer Josef Vogl (1848-1886) offenbar ein reiner Männerverein, in dem Frauen zunächst keine Rolle spielten. In der Folge gründeten sich im oberbayerischen Alpengebiet zahlreiche Vereine, die eine nach dem Vorbild der von Jägern und Holzknechten getragenen, sowie an ältere Tiroler Kleidungsformen angelehnte Tracht propagierten. Die so genannte „Miesbacher Tracht“ verbreitete sich so in ganz Altbayern und darüber hinaus. Dieses Gewand wurde von der seit 1853 bestehenden Miesbacher Schuhplattlergruppe „Gesellschaft Gemüthlichkeit“ getragen und stand bereits zur Mitte des 19. Jh. auch im Landgericht Reichenhall in Mode. Als Vereinszweck der Trachtenvereine galt „der Erhalt der Gebirgstracht, der Mundart und der alten Sitten und Gebräuche“. Außerdem führte man den Schuhplattler als Schautanz im bayerischen Alpengebiet ein. Ab 1893 entstanden im Reichenhaller Tal mehrere Vereinigungen, wie „D`Hohenstauffener“, „D´Schlegler“, die „Kirchhölzler“ und die „Almrausch-Gmoa“, die sich später in „Edelweisser“ umbenannte. Beim ersten Trachtenumzug zum Oktoberfest 1895 nahm auch eine Abordnung aus Reichenhall teil. Am 18. Juni 1900 gründete sich der „GTEV Lustige Saalachthaler“. Die Marzoller Trachtler gründeten den Verein D´Grenzler 1901, in Karlstein entstanden 1907 D´Kranzlstoana und in Bayerisch Gmain D`Lattenberger 1908. | Obwohl sich bereits 1871 in Graz ein Trachtenverein gründete, gilt Oberbayern als Wiege der Trachtenbewegung. In Bayrischzell entstand 1883 mit dem „Verein zur Erhaltung der Volkstrachten im Leitzachtal“ durch den Lehrer Josef Vogl (1848-1886) offenbar ein reiner Männerverein, in dem Frauen zunächst keine Rolle spielten. In der Folge gründeten sich im oberbayerischen Alpengebiet zahlreiche Vereine, die eine nach dem Vorbild der von Jägern und Holzknechten getragenen, sowie an ältere Tiroler Kleidungsformen angelehnte Tracht propagierten. Die so genannte „Miesbacher Tracht“ verbreitete sich so in ganz Altbayern und darüber hinaus. Dieses Gewand wurde von der seit 1853 bestehenden Miesbacher Schuhplattlergruppe „Gesellschaft Gemüthlichkeit“ getragen und stand bereits zur Mitte des 19. Jh. auch im Landgericht Reichenhall in Mode. Als Vereinszweck der Trachtenvereine galt „der Erhalt der Gebirgstracht, der Mundart und der alten Sitten und Gebräuche“. Außerdem führte man den Schuhplattler als Schautanz im bayerischen Alpengebiet ein. Ab 1893 entstanden im Reichenhaller Tal mehrere Vereinigungen, wie „D`Hohenstauffener“, „D´Schlegler“, die „Kirchhölzler“ und die „Almrausch-Gmoa“, die sich später in „Edelweisser“ umbenannte. Beim ersten Trachtenumzug zum Oktoberfest 1895 nahm auch eine Abordnung aus Reichenhall teil. Am 18. Juni 1900 gründete sich der „GTEV Lustige Saalachthaler“. Die Marzoller Trachtler gründeten den Verein D´Grenzler 1901, in Karlstein entstanden 1907 D´Kranzlstoana und in Bayerisch Gmain D`Lattenberger 1908. | ||