Kleidung im Reichenhaller Raum (ab 1500): Unterschied zwischen den Versionen

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Eine durch Tourneen in ganz Deutschland bekannte Institution war das Reichenhaller Bauerntheater unter der Leitung von Josef Meth, das die Vorstellungen der Theaterbesucher vom Leben im „Gebirg“ nachhaltig prägte. In den Touristenorten traten regelmäßig Trachtenvereine sowie Volkstanz- und Sängergruppen auf. In der Kurstadt vermarktete Jakob Damhofers Sänger-, Jodler und Tänzer-Ensemble „D`Reichenhaller“ folkloristische Veranstaltungen mit Erfolg. Mitglieder des Gebirgstrachten-Erhaltungsvereins Taubenberger aus Holzkirchen führten den von ihnen ersonnenen „Watschenplattler“ zum ersten Mal öffentlich 1907 in Bad Reichenhall zur Unterhaltung der Sommerfrischler auf.
Eine durch Tourneen in ganz Deutschland bekannte Institution war das Reichenhaller Bauerntheater unter der Leitung von Josef Meth, das die Vorstellungen der Theaterbesucher vom Leben im „Gebirg“ nachhaltig prägte. In den Touristenorten traten regelmäßig Trachtenvereine sowie Volkstanz- und Sängergruppen auf. In der Kurstadt vermarktete Jakob Damhofers Sänger-, Jodler und Tänzer-Ensemble „D`Reichenhaller“ folkloristische Veranstaltungen mit Erfolg. Mitglieder des Gebirgstrachten-Erhaltungsvereins Taubenberger aus Holzkirchen führten den von ihnen ersonnenen „Watschenplattler“ zum ersten Mal öffentlich 1907 in Bad Reichenhall zur Unterhaltung der Sommerfrischler auf.
 
[[Datei:Gebirgsschützen-Oberleutnant Forstwart Anton Kefer und Gattin Anna, 1848 (ReichenhallMuseum).jpg|mini|Gebirgsschützen-Oberleutnant Anton Kefer und Gattin Anna (mit Perlhaube), 1848]]
Perfektioniert wurde die alpenländische Unterhaltung in der Kurstadt durch den gelernten Kaminkehrer Hans Linder, der im August 1918 das Ausflugslokal „Schroffen-Alm“ erwarb und zur „Alpengaststätte Schroffen“ ausbaute. Linder schaffe es, dem Etablissement durch die Inszenierung von bayerischen Klischees Kultstatus zu verleihen. Der Geschäftsmann ließ im Saal der „Perle von Bad Reichenhall“ ein 30-köpfiges Musikensemble, die „Schroffengarde“ auftreten, organisierte Almtänze und Haberfeldtreiben zu Demonstrationszwecken. Neben dem Schroffen betrieb Linder noch das Berliner Wilhelmtheater, wo die Schroffengarde im Winter auftrat und die „Münchner Bierhalle“ in Köln. Dort wurden Gäste für den Sommeraufenthalt in Bad Reichenhall angeworben. Als 1931 eine auch für Busse befahrbare Straße auf den Schroffen angelegt worden war, stiegen die Gästezahlen weiter an. Linder war gewissermaßen zum „König der volkstümlichen Musik“ aufgestiegen, denn eine Karriere in diesem Metier führte fast zwangsläufig über den Schroffen. Die Vorstandschaft des Reichenhaller Trachtenvereins Saalachthaler lehnte wohl Auftritte auf dem Schroffen ab, da sie die dort gebotenen Veranstaltungen als nicht authentisch erachtete. Am 22. Juli 1922 spalteten sich mehrere Mitglieder, die anderer Meinung waren, vom Verein ab und gründeten auf dem Schroffen einen neuen Trachtenverein mit dem Namen „Alt Reichenhall“.
Perfektioniert wurde die alpenländische Unterhaltung in der Kurstadt durch den gelernten Kaminkehrer Hans Linder, der im August 1918 das Ausflugslokal „Schroffen-Alm“ erwarb und zur „Alpengaststätte Schroffen“ ausbaute. Linder schaffe es, dem Etablissement durch die Inszenierung von bayerischen Klischees Kultstatus zu verleihen. Der Geschäftsmann ließ im Saal der „Perle von Bad Reichenhall“ ein 30-köpfiges Musikensemble, die „Schroffengarde“ auftreten, organisierte Almtänze und Haberfeldtreiben zu Demonstrationszwecken. Neben dem Schroffen betrieb Linder noch das Berliner Wilhelmtheater, wo die Schroffengarde im Winter auftrat und die „Münchner Bierhalle“ in Köln. Dort wurden Gäste für den Sommeraufenthalt in Bad Reichenhall angeworben. Als 1931 eine auch für Busse befahrbare Straße auf den Schroffen angelegt worden war, stiegen die Gästezahlen weiter an. Linder war gewissermaßen zum „König der volkstümlichen Musik“ aufgestiegen, denn eine Karriere in diesem Metier führte fast zwangsläufig über den Schroffen. Die Vorstandschaft des Reichenhaller Trachtenvereins Saalachthaler lehnte wohl Auftritte auf dem Schroffen ab, da sie die dort gebotenen Veranstaltungen als nicht authentisch erachtete. Am 22. Juli 1922 spalteten sich mehrere Mitglieder, die anderer Meinung waren, vom Verein ab und gründeten auf dem Schroffen einen neuen Trachtenverein mit dem Namen „Alt Reichenhall“.


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In der Zeit der nationalsozialistischen Diktatur wurden die Trachtenvereine ebenso „gleichgeschaltet“ wie alle anderen Organisationen. Auch die Bad Reichenhaller Trachtler mussten der NS-Massenorganisation „Kraft durch Freude“ beitreten. 1936 wurden die beiden Vereine der Stadt zwangsvereinigt. Das Regime instrumentalisierte neben den anderen Traditionsvereinen besonders die Trachtler, welche häufig die schmückende Staffage für nationalsozialistische Veranstaltungen abgeben mussten.In Salzburg und Tirol verbot man Juden das Tragen von Trachten; ein reichsweites Trachtenverbot für „nichtarische Personen“ kam wohl kriegsbedingt nicht mehr zustande.
In der Zeit der nationalsozialistischen Diktatur wurden die Trachtenvereine ebenso „gleichgeschaltet“ wie alle anderen Organisationen. Auch die Bad Reichenhaller Trachtler mussten der NS-Massenorganisation „Kraft durch Freude“ beitreten. 1936 wurden die beiden Vereine der Stadt zwangsvereinigt. Das Regime instrumentalisierte neben den anderen Traditionsvereinen besonders die Trachtler, welche häufig die schmückende Staffage für nationalsozialistische Veranstaltungen abgeben mussten.In Salzburg und Tirol verbot man Juden das Tragen von Trachten; ein reichsweites Trachtenverbot für „nichtarische Personen“ kam wohl kriegsbedingt nicht mehr zustande.
 
[[Datei:Gründung Trachtenverein,1893.jpg|mini|Bericht von der Gründung des Trachtenvereins "Hohenstauffener" am 23. April 1893 im Reichenhaller Grenzboten]]
Das führende „Haus für Landestrachten“ der Brüder Julius und Moritz Wallach, das 1930 unter anderem Bühnenkostüme für das Singspiel „Im weißen Rößl“ geliefert hatte, wurde 1938 „arisiert“. Die Brüder Wallach mussten ihr Unternehmen zu einem Preis weit unter Wert an einen NS-Parteigenossen verkaufen und emigrierten mit ihren Familien in die USA. Der dritte Bruder Max Wallach, der Trachtenstoffe und Trachtenkleidung für seine Brüder hergestellt hatte, wurde enteignet und mit seiner Familie im Konzentrationslager Auschwitz ermordet.
Das führende „Haus für Landestrachten“ der Brüder Julius und Moritz Wallach, das 1930 unter anderem Bühnenkostüme für das Singspiel „Im weißen Rößl“ geliefert hatte, wurde 1938 „arisiert“. Die Brüder Wallach mussten ihr Unternehmen zu einem Preis weit unter Wert an einen NS-Parteigenossen verkaufen und emigrierten mit ihren Familien in die USA. Der dritte Bruder Max Wallach, der Trachtenstoffe und Trachtenkleidung für seine Brüder hergestellt hatte, wurde enteignet und mit seiner Familie im Konzentrationslager Auschwitz ermordet.


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'''Tracht heute'''
'''Tracht heute'''
 
[[Datei:Atelierfotos1.jpg|mini|Portraits aus den Reichenhaller Ateliers Franz Greiner, Johann Scherle und Hans Kurz, Ende 19. Jh. (ReichenhallMuseum)]]
Bereits in der Weimarer Republik hatte die bayerische Volkspartei (BVP) die Nähe der Trachtenverbände gesucht. Nach 1945 erkannte die CSU in ihnen Verbündete, die ihre wertkonservativen Grundsätze teilten. Die Trachtenvereine nutzten die parteipolitischen Annäherungen vorrangig aus strategischen Gründen zur Verfolgung der eigenen Ziele. Das von Bundespräsident Roman Herzog 1998 geprägte Schlagwort von „Laptop und Lederhose“ sollte die nach seiner Meinung geglückte Verbindung von technischem, wirtschaftlichem Fortschritt bei gleichzeitiger Bewahrung von Traditionen in Bayern verdeutlichen. Mittlerweile wurde es von der Präsidentin des bayerischen Landtags Ilse Aigner um die Formel „Dirndl und Digitalisierung“ ergänzt. Die oberbayerischen Gebirgstrachten werden als starkes Symbol für den gesamten Freistaat Bayern, dessen BewohnerInnen, die „bayerische Lebensart“ und Mentalität wahrgenommen. Sie gehören nach wie vor zu den bayerischen Klischees.
Bereits in der Weimarer Republik hatte die bayerische Volkspartei (BVP) die Nähe der Trachtenverbände gesucht. Nach 1945 erkannte die CSU in ihnen Verbündete, die ihre wertkonservativen Grundsätze teilten. Die Trachtenvereine nutzten die parteipolitischen Annäherungen vorrangig aus strategischen Gründen zur Verfolgung der eigenen Ziele. Das von Bundespräsident Roman Herzog 1998 geprägte Schlagwort von „Laptop und Lederhose“ sollte die nach seiner Meinung geglückte Verbindung von technischem, wirtschaftlichem Fortschritt bei gleichzeitiger Bewahrung von Traditionen in Bayern verdeutlichen. Mittlerweile wurde es von der Präsidentin des bayerischen Landtags Ilse Aigner um die Formel „Dirndl und Digitalisierung“ ergänzt. Die oberbayerischen Gebirgstrachten werden als starkes Symbol für den gesamten Freistaat Bayern, dessen BewohnerInnen, die „bayerische Lebensart“ und Mentalität wahrgenommen. Sie gehören nach wie vor zu den bayerischen Klischees.


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Bezirk Oberbayern, Zentrum für Trachtengewand (Hg.): Tracht ist Mode, 2002
Bezirk Oberbayern, Zentrum für Trachtengewand (Hg.): Tracht ist Mode, 2002
 
[[Datei:Trachtenzug 1895.jpg|mini|Erster Trachtenumzug anlässlich des Oktoberfests 1895, Teilnehmer aus Reichenhall (ReichenhallMuseum)]]
Der Grenzbote, 23.04.1893, 20.07.1922
Der Grenzbote, 23.04.1893, 20.07.1922


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Hofmann, Fritz: Doktor mit „Teufelskutsche“ und Lederhos’n, Heimatblätter 9/2002
Hofmann, Fritz: Doktor mit „Teufelskutsche“ und Lederhos’n, Heimatblätter 9/2002
 
[[Datei:Schroffen.jpg|mini|Saal der "Alpengaststätte Schroffen" um 1930]]
Hofmann, Fritz: Festschrift Wiedergründung Gebirgsschützenkompanie Reichenhall, 1984
Hofmann, Fritz: Festschrift Wiedergründung Gebirgsschützenkompanie Reichenhall, 1984